Rainer Allgaier

Theater- und Filmkritiken

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Ende der Spielzeit 2018/19 in den Berliner Opernhäuser

16. Juni 201917. Juni 2019Allgemein

DON QUICHOTTE in der Deutschen Oper Berlin***

In seiner 1910 uraufgeführten „Comèdie heroique“ erzählt Jules Massenet (1842-1912) frei nach dem berühmten Roman von Cervantes die vergebliche Liebesgeschichte des ritterlichen Don Quichotte zu der resoluten Gastwirtin Dulcinée. Die Musik klingt sehr französich, spätromantisch sensibel, voll schönem Sentiment, angereichert mit spanisch-klingender Folklore. Leider hat der schwedisch-niederländische Regisseur Jakop Ahlbom diese Musik kaum beachtet und die melancholische Liebestragödie als Folge von Varieté-Nummern arrangiert. In einem modern-kühlen Club werden viele altbekannte und auch einige neue  Zaubertricks und Show-Effekte vorgeführt, mal verblüffend, mal lustig, und immer unterhaltend. Gelegentlich gleitet das Geschehen ins Surreale, wenn zum Beispiel die Wirtin als erblondete Dulcinée in gleich dreifacher Gestalt den Ritter ballettös umgarnt. Dadurch gewinnen die Hauptdarsteller kaum Charakter oder Profil, unterscheiden sich nur wenig von den herumturnenden Chören und Komparsen. Alex Esposito als italienisch-temprierter Don Quichotte gelingen erst in der Schlußszenen anrührende Momente, Seth Carico als schlanker Sancho Panza trägt öfters einen Pferdekopf aus Pappe und darf seinen Herrn schultern, während Clémentine Margaine als taffe Wirtin Dulcinée ihren  dramatischem Mezzo orgeln läßt. Mehr Gespür für die feine Lyrik der Musik Massenets beweist der Dirigent Emmanuel Villaume, wobei ihm die vielfach eingestreuten reinen Orchester-Passagen zu Gute kommen und wirkungsvoll zu farbigem Klang werden. So überzeugt zumindest die musikalische Seite des „Don Quichotte“, während die Inszenierung – trotz aller Show-Effekte-  sich als falsch gepohlt erweist oder – wie die FAZ konstatiert –  als „Fauler Zauber“.

Premiere war am 30.Mai 2019

 

ROXY UND IHR WUNDERTEAM in der Komischen Oper Berlin****

Anfang der 1930-er Jahre gelang dem ungarischen Komponisten Paul Abraham der große Durchbruch: „Viktoria und ihr Husar“, „Die Blume von Hawai“,“Ball im Savoy“ waren die erfolgreichen Operetten, die in Berlin im damaligen Metropol-Theater (der heutigen Komischen Oper) Triumpfe feierten. Doch nach 1933 verschwanden sie vom Spielplan, Paul Abraham zog sich nach Wien und Budapest zurück, schrieb mehrere weitere Werke, allerdings mit weniger Erfolg. 1936 hatte „3:1 für die Liebe“ in Budapest in ungarischer Sprache Premiere, 1937 gelangte die Operette in einer überarbeiteten, deutschen Fassung als „Roxy und ihr Wunderteam“ in Wien zu einem glücklichen Start. Doch auch hier setzten die Nazis der erfolgreichen Vorstellungs-Serie (der auch schnell eine Film-Fassung folgte) ein abruptes Ende, Abraham floh über Cuba in die USA. Dort erkrankte er, kam in eine psychatrische Klinik, dann 1956 in eine ähnliche Hamburger Anstalt, wo er 1960 starb.  „Roxy und ihr Wunderteam“ tauchten nach den Wiener Vorstellungen (vermutlich) erst 1954 wieder in Dortmund auf einer Bühne auf.

Die Operette spielt – damals aktuell wie heute – im Milieu einer Fußball-National-Manschaft. In diesem Fall: der Ungarischen. Soeben hat sie im Londoner Wembly-Stadion die englische National-Truppe geschlagen und feiert nun vor der Abreise in einem noblen Hotel ihren Triumpf. Da platzt eine reiche Engländerin im Hochzeitskostüm ins Zimmer: Roxy, die kurz vor ihrer Trauung mit dem ebenbfalls reichen, aber trotteligen Bräutigam Bobby ausgerissn ist, und nun den ungarischen Teamchef Gjurka anfleht, sie zu retten. Nach einigem Hin- und Her wird Roxy ins ungarische Trainingslager am Plattensee mitgenommen, dort soll sich die Mannschaft aufs Rückspiel gegen die Engländer vorbereiten. Daß im Trainingslager auch eine gymnastische Mädchenriege untergebracht ist und die Fußballer zu allerlei „Übungen“ ermuntert, hilft Roxy, die sich in den spröden Kapitän Gjurka verliebt hat, ihr Ziel auf operetten-tauglichen Pfaden zu erreichen: mit viel Foxtrott, Walzer und Puzsta-Klängen.

„Roxy und ihr Wunderteam“, die geschickt Sport und Musik kombinieren, ist allerdings kein großer Wurf. Die Geschichte eher unständlich, die Musik ohne Hit. das Ganz wie „Paul Abraham“ aus zweiter Hand. Doch in der Komischen Oper gelingt dieser „Roxy“ eine fabelhafte (wenn auch mit 3 Stunden etwas lange) Vorstellung:  mit wirbelnden Tanz-Szenen (Choreographie: Danny Costello), einer raffinierten, bunten Austattung (Bühne: Stephan Prattes, Kostüme: Heike Seidler), einer ebenso geschickten wie temporeichen Inszenierung (Regie: Stefan Huber) und einem tollen, spielfreudigen Sänger-, Schauspieler-  und Musiker-Ensemble (Dirigent: Kai Tietje). Im Mittelpunkt: die Geschwister Pfister. Ursli Pfister (Christoph Marti) singt, tanzt und spielt eine herrlich zickige Roxy, sexy und ironisch zugleich, punktgenau kann sie freche wie anzügliche Pointen setzen, elegant die Beine schwingen und zugleich mit tiefen Tönen Schmelz und Schmalz attraktiv auszustellen. Toni Pfister (Tobias Bonn) ist der ideale Partner als leicht verklemmter Mannschaftskapitän Gjurka und Fräulein Schneider glänzt gleich in mehreren Rollen, u. a. als strenge, blond-bebrillte Mädchenpensionats-Direktorin. Neben den vielen Sängern, Tänzern, Schauspielern und Komparsen, die alle äußerst temperamentvoll um den Riesen-Fußball auf der Dreh-Bühne sich tummeln, sticht besonders Uwe Schönbeck heraus: als wohlbeleibter, schottisch-geiziger Mix-Pickles-Fabrikbesitzer, dem Onkel und Strippenzieher von Roxys mißglückter Hochzeit. Trotz der Standart-Komik dieser Figur darf er In einem melancholisch-wienerischen Couplet seine Lebens-Philosophie anrührend besingen.

Bilanz: eine typische, aber schwächelnde Paul-Abraham-Operettte, dennoch eine tolle Vorstellung und ein großer Erfolg beim Publikum.

Premiere: 31.Mai 2019

 

Nicht gesehen:

RIGOLETTO in der Staatsoper

Als letzte Premiere der Spielzeit inszenierte der US-Regisseur Bartlett Sher Giuseppe Verdis „Rigoletto“ als „expressionistisch/surreales“ Drama. Dirigiert vom Kolumbianer Andrés Orosco-Estrada. Der britische Bariton Christopher Maltman verkörperte den Titelhelden, gelobt wegen seines musikalischen wie darstellerischen starken Ausdrucks. Doch die Produktion insgesamt (eine Kooperation mit der Metropolitan Opera New York)  wurde von den meisten Kritikern überwiegend verissen. (Herzog: Michael Fabiano, Gilda: Nadine Sierra).

Premiere war am 2.Juni 2019

Kino & Theater – Mai / Juni 2019

14. Mai 201930. Juni 2019Allgemein

M  –  EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER in der Komischen Oper Berlin***

Regisseur Barrie Kosky, Dramaturg Ulrich Lenz und der Komponist Moritz Eggert haben nach dem berühmten Ton-Film „M“ von Fritz Lang (1931) ein zeitgenössischen Musiktheater entwickelt und jetzt an der Komischen Oper uraufgeführt. Eine Mischung aus deutschem Singspiel à la Brecht/Weill, tragischem US-Musical und moderner Elektronik. Der opern-dramaturgische Trick: am Beginn läuft M (der sehr flexible Bariton Scott Hendricks in Jeans dunklem T-Shirt und Sneakers) erregt, fast verzweifelt auf der kahlen Bühne hin und her, windet sich wie im Schmerz, wird offensichtlich von den Bildern der nachfolgenden Handlung in seinem Kopf geplagt. Dabei bleibt offen, ob diese Vorstellungen Realität oder Fantasie sind. Aus sich öffnenden, schmalen Türen kommen Leute, Kleinbürger diskutieren, schreien, schimpfen über eine Mord-Serie an Kindern, über deren unzulängliche Aufklärung durch die unfähige Polizei, und sie streuen allerlei Verdächtigungen aus. Nach etwa 100 Spiel-Minuten ist der Mörder, dem ein Kind den Buchstaben M mit weißer Farbe auf den Rücken gemalt hat, entlarvt und starrt ratlos ins Publikum. Regisseur Kosky treibt diesen bösen Film-Krimi stark ins Groteske. Das Volk wird durch Kinder-Komparsen dargestellt, die große Schwellköpfe aus Pappe tragen und heftig gestikulierend ihre Figuren vorspielen. Ihre Stimmen, die gesprochenen wie gesungenen Worte, Sätze und Sentenzen kommen aus dem Off,  denn Solisten wie Chor bleiben dem Zuschauer unsichtbar. Moritz Eggerts Musik mischt viel Blech und Schlagwerk, die den Text stark akzentuieren und rhythmisieren, verstärkt durch vielerlei elektronische Attacken, meist in gewaltiger Lautstärke.  Im Kontrast dazu werden  die Arien in den intimeren, leisen Szenen von einem sanften, fast süßlichen Streicher-Sound unterlegt. Der pausenlose Abend  spult sich gleich einer verfremdeten, ironisch-surrealen Revue ab – temporeich und optisch sehr effektvoll. Das große Gesangs-. Musiker- und Statisten-Ensemble spielt, singt und tanzt mit überzeugendem Engagement –  straff und pointiert zusammengehalten von Musikchef des Hauses Ainars Rubikis.  Das Publikum dankt mit viel Beifall.

Eine durchaus flotte Bühnen-Show, aber Betroffenheit oder gar tiefere Berührung vermag dieser synthetische Opern-„M“  kaum auszulösen.

Premiere war am 5.Mai 2019

 

BALANCHINE / FORTHYTE / SIEGAL – Das Staatsballett in der Staatsoper****

Klug erdachter und gut getanzter Ballett-Drei-Teiler. Zuerst „Theme and Variationen“ eine Erinnerung von George Balanchine an seine russische Jugend-Zeit aus dem Jahr 1947. Klassische Arrangemants, leicht von amerikanischer Energie beflügelt zu Musik von Tschaikowsky (Orchester-Suite Nr.3). Elegant vom Berliner Ensemble exekutiert.

Danach „The Second Detail“: ein abstraktes Ballet von William Forsthyte (1991) für 14 Tänzerinnen und Tänzer, in einem hellen Raum mit glatten Wänden, alle in weiße Trikots gekleidet, bis auf eine Tänzerin im Schlußteil, die ein ebenfalls weißes, aber extravagant geschnittenes Kleid vom japanischen Modeschöpfer Issey Miyake trägt. Kräftige Bewegungen im Raum, unterschiedliche Perspektiven ausnutzend, alle Möglichkeiten der Tänzer-Körper erforschend. Die Musik (bom Band) stammt wie meist bei Forthyte von Tom Willems. Starker Beifall des Publikums.

Den Abschluß des 130 minütigen Abends bildet „Oval“, eine Uraufführung des amerikanischen Choreographen Richard Siegal. Ein dunkles, farbig beleuchtetes ovales Objekt schwebt und kreiselt über der dunklen Bühne, darunter bewegen sich die in merkwürdige, dunkel schimmernde, trikotartige Kostüme gekleideten Tänzer. Schneller Wechsel von Auftritten und Bewegungen von Tänzergruppen in größeren wie kleineren Formationen unter dem ständig kreiselnden Schwebe-Objekt. Wirkt noch etwas „unausgegoren“ und „performance-lastig“,  trotz des großen Einsatzes der 12 Tänzer/innen. Die Musik – ein Auftragswerk – stammt von Carsten Nicolai.

Premiere: 4.Mai 2019

 

HÄNDEL- FESTSPIELE HALLE  (31.Mai – 16.Juni 2019)

1.  JULIUS CAESAR IN ÄGYPTEN (HW 17) im Opernhaus Halle

Das Festspielorchester (mit teilweise alten Instrumenten) wird vom Gastdirigenten Michael Hofstetter, einem Gluck- und Händel-Spezialistem,  geleitet – klanglich gut ausbalanciert, aber etwas neutral. Die Inszenierung stammt vom renommierten Peter Konwitschny, der vor den bunten, zeichenhaften Kulissen seines alten Künstler-Freundes Helmut Brade altmodisch-popig und etwas bieder-albern Komödie spielen läßt. Das Solisten-Ensemble ist guter Durchschnitt (Vanessa Waldhart / Cleopatra; Svitlana Sylvia / Cornelia; Jake Arditti – in der Partie des Sextus, hier aber als toter Pompejus). Der Premieren-Erfolg ist gemischt.

Premiere: 31.Mai 2019

 

2.  IL PASTOR FIDO (HW 8 a) im Goethe-Theater Bad Lauchstädt

Gastpiel des „Orkiestra Historyczna“ aus Kattowitz (Polen) unter seiner Gründerin und Leiterin Martyna Pastuszka. Mit viel Schwung und Farbigkeit musiziert. Der freie, deutsche Regisseur Daniel Pfluger erzählt die alt-griechische, lyrische  Liebesgeschichte (und deren Irrungen und Wirrungen)  zwischen einer Nymphe und einem Schäfer aus heutiger Sicht als nüchtern, lässiges Spiel um Liebe und Eifersucht pathos-frei und mit leichter Ironie. In den Hauptrollen: Philipp Mathmann (Counter) als Schäfer und Sophie Junker (Sopran) als verliebte Nymphe, Rinnat Moriah (Sopran) ist die taffe Rivalin. Die Bühne zeigt einen nüchtenen, farbig beleuchteten Kasten-Raum mit breitem Bett und mehreren Türen, die Sänger tragen an keine bestimmte Zeit gebundenen, hübsche Kleider. Ein freundlicher Erfolg.

Premiere: 1.Juni 2019

 

 

Gelungenes Musiktheater: „Oceane“ in der Deutschen Oper Berlin****

4. Mai 20195. Mai 2019Allgemein

Uraufführung der neuen (und elften) Oper des Komponisten Detlev Glanert (geb.1960). Die wenig bekannte und nur fragmentarische Novelle „Oceane von Parceval“ von Theodor Fontane ermöglichte es dem Autor  Hans-Ulrich Treichel (geb.1952) durch geschickte Ergänzungen und Erweiterungen ein kluges und musik-spezifisches Libretto zu formen.  Oceane ist eine Art Melusine, die sich unter eine Ferien-Gesellschaft in einem Ostseebad mischt. Ein junger Gutsherr, Martin von Dircksen, verliebt sich in sie, doch Gefühle vermag Oceane für ihn nicht zu entwickeln. Bei einem Ball provoziert sie ungewollt durch ihre wilde Art zu Tanzen die spießige Gesellschaft (1.Akt).  Als ein toter Fischer am Strand angespült wird (2.Akt), läßt sie auch dieses Ereignis im Gegensatz zu allen umstehenden Feriengästen kalt. Weswegen der streng-sture Pastor Baltzer sich mit Hass-Ausbrüchen gegen die fast stumme Oceane  – unter Beifall der Umstehenden –  hervortut. Als Oceane ihre Unfähigkeit zu menschlichen Gefühlen (etwa für Martin) erkennt und damit auch die Un-Möglichkeit einer Eingliederung in die ihr begegnende, schon verknöcherte Gesellschaft, geht sie in ihre angestammt Natur zurück, vereinigt sich mit den Geistern des Meeres.

Detlev Glanert illustriert und stützt diese Geschichte mit unterschiedlichen, vielfältigen musikalischen Mitteln. Zarte, sehnsuchtsvolle Vocalisen aus der Natur und krachlederne Tänze beim Sommerball, muntere Koloraturen eines Boffo-Paares und explosiv-dröhnende Orchester-Cluster beim Zusammenstoß mit dem bösen Pastor. Es gibt wohlklingende  Arien, ein heiteres Quartett der zwei sich findenden Liebes-Paaren und immer wieder große schwungvolle wie auch  dramatische Ensembleszenen für den Chor der zahlreichen Feriengäste. Dominierend bleibt jedoch immer die schöne, klangvolle melodische Gesangslinie, gipfelnd im auf- und ausschwingenden Schlußmonolog der von Meereswellen umrauschten Oceane.

Der kanadische Regisseur Robert Carsen transponiert die Handlung aus der Zeit Fontanes in die Jahre vor dem ersten Weltkrieg – denn im beschränkt-starren Verhalten der damaligen Gesellschaft deute sich die kommende Katastrophe schon an.

Eine elegant in Grau gekleidete Hotelgesellschaft spaziert auf der Hotelterasse vor flachem Meer und rießigem, wolkenverhangenem Himmel lässig auf oder ab, später rollen mächtige, schwarze Meereswellen über den dazugehörigen, schmalen Strand – stimmungsvolle, mal starre, mal bewegte Bilder – atmosphärisch dicht! (Bühne: Luis F.Carvalho, Kostüme: Dorothea Katzer, Video: Robert Planz). Das Sänger-Ensemble ist bestens für die jeweilige Rolle ausgewählt. Der jugendliche, aber volle und geschmeidige Tenor Nikolaj Schukoff passt vorzüglich zur Figur den unbekümmerten Gutsherrn Martin von Dircksen, der schlanke, machtvolle Baß Albert Pesendorfer verkörpert eindringlich den hartgesotteten Pastor Baltzer und Maria Bengtsson beeindruckt als blass-blonde Oceane durch einen dramatisch-beweglichen  und zugleich –  besonders am leisen Beginn wie im verklingenden Schluß – ätherisch-leichten Sopran. Donald Runnicles leitet flexibel das engagiert spielende Opernorchester.

Der Erfolg beim Publikum war groß – auch in der von mir besuchten 2.Vorstellung. Eine zeitgenössische Oper:  packend, anrührend  und mit großen Zukunftschancen –  ein seltener  (Glücks-)Fall !

Premiere: 28.April 2019

 

Kino & Theater März 2019

4. März 201917. April 2019Allgemein

LA SYLPHIDE / Das Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper****

Neu-Produktion des romantischen Klassikers. 1836 in Kopenhagen uraufgeführt von August Bournonville, Dessen berühmte Choreographie ist Vorlage für die jetztige Einstudierung durch den dänischen Spezialisten Frank Andersen und sein Ausstattungs-Team. Die tragisch endende Liebesgeschichte des schottischen Edelmanns James, der sich in eine Elfe oder Sylphide verliebt, seine Braut Effie und die schon feiernde Hochzeitgesellschaft im Stich lässt und der zarten Sylphide in den Wald folgt. Doch als er sie dort mit einem Zauberschleier einfängt, ihr so die Freiheit nimmt, fallen ihre Flügelchen ab und sie stirbt. Der choreographische Stil Bournovilles ist kleinteiliger als der russische von Marius Petipa, bevorzugt präzise. sich kreuzende  Schritte und einen ausladenden, eleganten ‚Port de Bras‘. Von den wechselnden Solisten des Staatsballetts überzeugten in der von mir besuchten Vorstellung die ungemein leichtfüssige Polina Semionova als fast schwebende Sylphide und der sprungstarke Alejandro Virelles als entflammter Liebhaber. Effektvoll: Arshak Ghalumyan in der Travestie-Rolle der Zauberin Magde. Harmonisch das Corps de Ballet sowohl im schicken Schottenrock wie in den knielangen, weißen Tütüs im Elfenwald.. Eine attrakive Inszenierung und  gelungene Einstudierung des Bournonville-Klasskers mit der originalen Musik des norwegischen Komponisten Herman Severin Lovebskjold, vom Orchester der Deutschen Oper etwas pauschal dargeboten. Ein hübsches Tanz-„Schmankerl‘: doch wohl eher für die jungen Ballett-Fans und/oder den konservativeren Teil des Publikums. Großer, herzlicher Beifall.

Premiere: 1.März 2019 (in der weiteren Vorstellungen wechselnde Besetzung!)

 

BABYLON in der Staatsoper Unter den Linden***

„Babylon“ ist die zweite Oper des Komponisten und (berühmten) Klarinettisten Jörg Widmann, uraufgeführt 2012 in dessen Heimatstadt München und jetzt in einer von ihm selbst revidierten Fassung an der Berliner Staatsoper durch den Regisseur Andreas Kriegenburg neu inszeniert. Das Libretto des holländischen Philosophen  Peter Sloterdijk schildert die Liebesgeschichte des Juden Tammu zu der babylonischen Priesterin Iamma zur Zeit der jüdischen Gefangenschaft im babylonischen Reich (ca 1800 vor Christus). Babylon wird in dieser Fassung als (fast moderne) Welt-Metropole gezeigt, in der die unterschiedlichsten Religionen und Kulturen tolerant miteinander leben.  Musik und Text mischen Historie und Mythologie, Religiöses und Philosophisches, private Schicksale und politische Ereignisse zu einem einem fast drei-stündigen, üppig-ausladenden Spektakel von attraktivem Schauwert und  rauschenden Klangerlebnissen. Die Bühne von Harald Thor zeigt breit-angelegte Wohn-Etagen mit Räumen in unterschiedlicher Form und Größe, die wie ein Pater-Noster mal nach oben, mal nach unter gefahren werden können. Bewohnt sind diese unfertigen, eher düsteren Kammern von vielen Menschen (Chor und Komparsen) in teils modernen, teils altmodischen, phantasievollen Klamotten. Auf dem schmalen Raum davor diskutiert der jüdische Tammu mit seiner gespaltenen Seele, die als junge Frau im weißen Gewand ihm Widerpart leistet, streitet er mit Oberpriester und Schriftgelehrten seiner Landsleute um Glaubens-Auslegungen, umwirbt er die in gold-rotem Kleid sich räkelnde Liebes-Priesterin der Babylonier. In weiblicher Gestalt und wasserblauem Reifrock  verflucht der Fluß Euphrat den Himmel, den er für die einstige Sintflut und Tod in Babylon verantwortlich macht. Und während die Juden  dehalb auf Menschenopfre verzichten, halten die Babylonier daran fest und ergreifen Tammu als nächstes Todes-Exemplar . Doch die liebende Priesterin Iamma holt ihn – dem griechischen Sänger Orpheus (spiegelbildlich-) gleich aus der Hölle zurück und vereint sich mit ihm und allen zum regenbogen-farbigen Happy End. Sloterdijks Text mischt viel Bibel- und Philosophie-Zitate mit eigener Lyrik und stopft viel abendländische Kulturgeschichte dazwischen – nicht umbedingt zum dramaturgischen Vorteil der ganzen Bildungs-Huberei. Sehr viel interessanter und raffinierter mixt Jörg Widmann die unterschiedlichten Formen und Stile von Musik und bedient sich dafür nicht nur eines großen Orchester-Apperates, sondern auch ausgefallener Instrumente wie Schofaroth-Trompeten oder Glasharmonika. Die Liebesduette klingen sanft und harmonisch, die Karnevals-Szene bayrisch-grotesk, kleinere Ensembles immitieren auf scräge Weise Jazz und Musical, dazwischen zeitgenössische Töne, immer wieder jedoch steigern sich Chor und Orchester zu pathetischen Klangexplosionen von fast unerträglicher Lautstärke. Bewundernswert wie der (für den erkrankten Daniel Barenboim) eingesprungene Christopher Ward (Musikchef in Aachen und Assisten bei der Münchner Uraufführung) Sänger und Instrumentalisten zusammenbindet und zu starken musikalischen Eindrücken animiert   – aller Über-Lautstärke zum Trotz.  Der Chor singt und agiert in Hochform, das große Solisten-Ensemble überzeugt. Die dänische Gast-Sopranistin Susanne Elmark ist eine koloratur-schillernde Liebes-Priesterin, Marina Prudenskaja eine machtvolle Stimme des Euphrat, John Tomlinson ein Oberpriester mit erzernem, wort-deutlichem Baß. Etwas blaß (und höhenscharf) bleibt die Seele der Mojca Erdmann, Charles Workmann, in der tragenden Rolle des Tammu, kommt bei den hohen stimmlichen Anforderungen gelegentlich an seine tenoralen Grenzen. Vorzüglich in den kleinen Rollen bewähren sich der Coutertener Andrew Watts als riesen-beschwanzter „Skorpionmensch“ und der Bariton Otto Katzameier als „Schwester Tod“.

Eine Produktion von fast „babylonischem Ausmaß“, mit vielerlei Schauwerten und einer klug komponierten, farbigen-gemixten Musik  –  jedoch als Theater-Abend, der nicht nur bildet, sondern auch berührt,  stark überfrachtet.

Premiere war am 9.März 2019

 

THE SISTERS BROTHERS von Jacques Audiard (Frankreich/USA u.a.,2018)****

Ein Western, dessen Weg von Oregon nach Kalifornien führt, im Jahr 1851. Im Auftrag eines „Commandore“, dem heimlichen Herrscher einer Kleinstadt, verfolgen Eli und Charlie Sisters (John C.Reilly / Joaqin Phoenix), zwei Auftragkiller im mittleren Alter, einen Chemiker und Goldsucher namens Herman Kermit Warm (Riz Ahmed), der eine Formel und damit ein Mittel gefunden haben soll,mit dem das Edelmetall im Wasser zu leuchten beginnt. Doch da der „Coamdore“ den Sisters Brothers wohl nicht recht traut, hat er zudem den  Privatdedektiv John Morris (Jake Gyllenhaal)  angeheuert, den Goldsucher Herman Warm wie auch die Sisters Brothers zu überwachen. Daß der intelektuelle Morris dann die Seiten wechselt, steht auf einem anderen Blatt. Vier Westernhelden auf ihrem langen Ritt durch den amerikanischen Westen. Sie verstehen, perfekt mit ihren Waffen umgehen, erweisen sich aber sonst als ganz gewöhnliche und etwas hinterwäldlerische  Zeitgenossen. Sie quasseln und reden über sich, über  über ihr unstetes Leben und ihre vage Zukunft. Eli denkt daran, einen Kramladen  aufzumachen, sein Bruder wird im Traum von seinem gewalttätigen Vater heimgesucht, und  der fremdländisch aussehende Herman will sich einer friedliebenden, ökologisch und sozialistisch orientierten Gesellschaft in Texas anschließen. Die Zeit ändert sich: in San Francisco erlebn die kleinstädtischen Killer deine moderne Großstadt mit quirligen Menschenmassen, luxuriösen Hotels und tollen Theatern. Doch am Ende führt der lange Weg die Sister Brüder zurück nach Hause, zur taffen Mutter, in den Schutz einer Familie.

Der französische Regisseur Jacques Audiard („Ein  Prophet“,2009) hält sich streng an den Rahmen des Western-Genres, doch seine „Helden“ sind ganz unheroische, normale Durchschnitts-Menschen. Sie erledigen ihren Job als Auftragskiller, machen sich aber auch Gedanken über diesen „Beruf“, fragen sich, wie es mit ihnen in der  Zukunft weitergehen soll ( den Drugstor eröffnen ?) Die beiden – im Charakter so unterschiedlichen Brüder reden und diskutieren ungewöhnlich viel, ob beim Reiten, ob am Lagerfeuer, der zustoßende Dedektiv John Morris führt sensibel Tagebuch über sein Tun und seine Gedanken und Goldsucher Herman träumt von der idealen (demokratischen) Gesellschaft, Sie staunen über den Fortschritt ihrer Zeit, entdecken Zahnbürste und Wasserkloset. Dabei vermeidet der Regisseur Karikatur und Spott, zeigt stattdesseb mit subtilem Witz die „wahren“, also alltäglichen Helden des Gentrs, die nicht nur reaktionsschnell Schießen können, sondern dazwischen auch mal pinkeln müssen. Hervorragende  Schauspieler, einfallsreiche Gestaltung von Bild und Schnitt, klug eingesetzte Musik – ein moderner, unterhaltsamer „amerikanischer Western“  –  erdacht in Frankreich, gedreht in Spanien und Rumänien. Silberner Löwe in Venedig.

Der Film läuft seit 7.März 2019 in deutschen Kinos

 

ASCHE IST REINES WEISS  von Jia Zhangke (Frankreich/China 2018)****

In einer kleinen Stadt im Norden Chinas, geprägt von sterbenden Kohlabbau, ist der schlaue Bin das anerkannte Oberhaupt einer lokalen Mini-Gangster-Gruppe und genießt mit seiner hübschen Freundin Qiao ein flottes Leben in der sonst ärmlichen Umgebeung. Bei einer blutigen Schlägerei mit agressiven Jugendlichen rettet ihn Qiao durch einige Warnschüsse mit einer Pistole, Doch privater Waffenbesitz ist in China verboten: Qiao wird zu fünf Jahren harter Haft verurteilt. Nach ihrer Entlassung macht sie sich auf die Suche nach ihren Geliebten Bin (dem die fatale Pistole eigentlich gehörte). Der ist inzwischen in einer reicheren Provinz im Süden zum Unternehmer aufgestiegen, hat eine neue Freundin. Enttäuscht reist Qiao scheinbar ziellos durch China.(Eine Episode spielt am Jamtse und der versinkenden Drei-Schluchten-Welt, die Regisseur Zhangke bereits in seinen preisgekrönten Film „Still Life“ von 2006  so eindrucksvoll porträtiert hat).Im letzten Teil des Films treffen sich Qiao und Bin wieder in der – nun veränderten – alten Heimat wieder:  sie ist eine bittere, einsame (Geschäfts-)Frau geworden, er scheint ein altes,krankes Wrack im Rollstuhl zu sein – eines Tages verschwindet er.

Eine Liebesgeschichte, die sich über fast zwanzig Jahre hin zieht, Gefühle, die sich im Laufe dieser Zeit ändern, aber kein Ende finden – eine starke Bezeihung, die keine Erfüllung findet. Gespieget in den gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen eins sich wandelnden Chinas. Belebten Bahnhöfen, Kreuzfahrtschiffe und Eisenbahnzüge, die durch unterschiedlichste Landschaften fahren, sind Metapher und Bild-Symbol der scheiternden Liebe von Qiao und Bin wie der allgemeinen politische Umwälzung zugleich: Zukünftige Entwicklungen bleiben offen oder ungewiss. Auch die der chinesischen Gesellschaft. Ein erstaunlicher, vielschichtiger Film!

Seit dem 28.2.2019 in den deutschen Kinos (OmU und dt.Fassung)

 

DER ZWERG in der Deutschen Oper Berlin***

Als Prolog wird in dieser Inszenierung eine knapp 10-minütige Pantomime zu Arnold Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene, op.34“ vorangestellt:  in einem bürgerlichen Salin sitzt Alma Schindler (spätere:Mahler-Werfel) mit ihrem Komponisten-Lehrer Alexander von Zemlinsky am Flügel – erst üben sie vierhändig, dann tändeln sie, schließlich stößt Alma den handgreiflichen Komponisten vom Hocker und rauscht davon. Vorhang.  Ohne Pause schließt sich die anderthalb stündige Zemlinsky-Oper „Der Zwerg“  nach dem Märchen von Oscar Wilde an.  Der zur Zeit stark „gehypte“, junge Regisseur Tonias Kratzer verlegt das tragische Märchen in einen heutigen, hellen Konzertsaal samt (Komparsen-)Orchester. Vor dem Podium nimmt die muntere Prinzessin im kurzen,  kupferfarbenen Paletten-Kleid (mit klarem Sopran Elena Tsaliagova) die Geburtstags-Geschenke entgegen – darunter einen quicklebendigen Zwerg im schwarzen Frack, der sich in sie prompt verliebt, aber später an ihrem Desinteresse zu Grunde geht. Diesen Zwerg läßt der Regisseur gleichzeitig in doppelter Gestalt auftreten – einmal als kraftvoll singender Tenor (David Butt Philip), zum andern als stumm agierender Liliputaner (Mick Morris Mehnert) – warum auch immer!  Auch sonst allerlei Sonderbarkeiten, wenn der Zwerg das Orchester dirigiert und dieses darauf die Instrumente zerschmettert und die Bühne verlässt. Innerhalb des eigenwilligen Konzepts zwar durchaus geschickte Personenführung – doch die Aufführung wirkt insgesamt allzu modisch und aufgeplustert. Musikalisch bleibt der Eindruck ebenfalls mittelprächtig (Dirigent: Donald Runnicles), wenn auch durchaus auf hohem Niveau. Dem Publikum hat‘ die „schräge“ Aufführung sehr gefallen, es gab viel Applaus.

Premiere: 24.März 2019

 

POROS in der Komischen Oper Berlin***

Die fast unbekannte Oper von Georg Friedrich Händel (uraufgeführt 1731 in London) wird von Harry Kupfer inszeniert, der damit nach 17 Jahren erstmals an den Ort seiner großen Erfolge zurückkehrt. Händel erzählt darin eine Episode aus dem antiken Feldzug Alexanders des Großen nach Indien. Harry Kupfer und sein Team verlegen das Geschehen in die Zeit der Uraufführung: im Auftrag der „Ost-Indien-Kompanie“ erscheinen der englische Offizier Sir Alexander samt seinen Tropenhelm-bewehrten Soldaten im indischen Reich des Königs Poros. Doch den erschrecken weniger die kolonialen Absichten der Briten, als die möglichen Avancen, die Sir Alexander der von Poros geliebetne Königin Mahamaya macht und die diese  – zum Schein – erwiedert. Kurz: Liebe und Eifersucht spielen die Hauptrolle in dieser chorlosen Kammeroper – natürlich mit großem Happy End der Liebespaare, während eine riesige englische Flagge alls Schlußvorhang – hübsch ironisch – die Szene beendet.  Kupfer läßt die Story in einem dichten Urwald spielen, die elegant-folkloristischen indischen Seiden-Kostüme sorgen für leuchtende Farbtupfer in dieser grünen Pflanzen-Höhle (Bühne:Hans Schavernoch/Kostüm:Yan Tax). Doch das Spiel bleibt brav und bietet wenig Überraschung – Harry Kupfer zeigt zwar seine enorme Bühnen-Erfahrung, doch seine einstige Regie-Pranke ist zahm georden. Die Aufführung, vom jungen Barock-Musiker Jörg Halubek schwungvoll dirigiert, ist nicht streng „historisch informiert“, sondern zielt mit den Sängern des Haus-Ensembles auf direkte Wirkung für ein „normales“ Publikum. Es wird in deutscher Sprache gesungen, die langen Da-Capo-Arien sind gelegentlich gekürzt oder die Wiederholungen werden mit zusätzlichen, neuen Versen bestückt. Bariton Dominik Köninger als bezopfter König Poros, die armenische Gast-Sopranistin Ruzan Mantashyan als elegante Geliebte Mahamaya, der Countertenor Eric Jurenas als blasser Sir Alexander, sowie iIdunnu Münch (Mezzo) und Philipp Meierhöfer (Baß) in den Nebenrollen  können sich sehen und hören lassen – auch wenn sie keine Spezialisten für barocken Gesang sind. So bleibt Harry Kupfers Rückkehr an die Komische Oper insgesamt ein freundlicher, aber auch hausbackener Abend. Die hochgesteckten Erwartungen wurden nicht ganz eingelöst.

Premiere: 16.März 2019

 

Meine BERLINALE 2019

10. Februar 201917. Februar 2019Allgemein

THE KINDNESS OF STRANGERS von Lone Scherfig (Dänemark)**

Eine junge Frau, Clara, flieht vor ihrem gewalttätigen Mann, einem Polizisten, mit ihren beiden kleinen Söhnen nach New York. Als der Schwiegervater dort ihr jede Hilfe verweigert, sucht sie Essen und Unterschlupf in den öffentlichen Hilfs-Organisationen, in Suppenküchen, Obdachlosenheimen, später bei der hilfsbereiten Krankenschwester Alice in einer kirchlichen Einrichtung. Oder sie klaut auf einer Party in einem russischen (Nobel-)Restaurant Essen für ihre kleinen Kinder. Dabei trifft sie auf den jungen Manager dieses „WinterGarden“ – der Beginn zum glücklichen Ausgang des Films. Panorama-Aufnahmen von New York wechsel mit schön gefilmten Sozial-Stationen, wo auch die Ärmsten der Armen aufeiander angewiesen sein müßten („The Kindness of Strangers“), dazu viel ( auch witziger) Dialog sowie als skurrile Einlage die Figur des kauzig-komischen Besitzers des Russen-Restaurants, in dem die Wege aller Personen sich kreuzen. Unterlegt mit rauschendem Geigensound.  Ein Film zum Wohlfühlen – trotz aller vorgeführten Mißstände,. Mainstream – so glatt wie solide.

 

GRACE A DIEU von Francois Ozon (Frankreich)***

Im Bistum Lyon soll der französische Priester Bernard Preynat, der auch die dortigen Pfadfinder betreute, Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre etwa 70 Jungen sexuell mißbrauchct haben. Obwohl Eltern wie Kirchenleute davon wußten (oder ahnten) wurde geschwiegen. Bis 2016 einige der inzwischen erwachsenen und verheirateten  Männer sich zusammen taten und die Gruppe „La Parole Liberèe“  gründeten. Ziel war die juristische Anklage (trotz Verjährung) gegen Preynat und den ihn deckenden Kardinal Philippe Barbarin. Der Prozeß soll in diesem Frühjahr 2019 mit einem Urteil zu Ende gehen. Francois Ozon ist durchs Internet auf die Lyoner Opfergruppe aufmerksam geworden, hat sich mit den Mitgliedern unterhalten und dann daraus einen Film entwickelt. In Spielszenen wird das Schicksal dreier dieser Männer nacherzählt, ihre seelische Verwundung und deren Auswirkung auf ihr späteres Leben und das ihrer (teils mitwissenden) Eltern, Ehefrauen oder Kinder. Ozons Film richtet sich nicht gegen den Glauben, aber gegen die die Katholische Kirche, gegen ihr Wegschauen, Verleugnen und Vertuschen. Ozon konzentriert sich sich allein auf die Opfer. Dabei neigt der Film zu ausführlichen Worten (meist aus den Off vorgelesenen Brief-Dokumenten) und inhaltlichen Wiederholungen. Dennoch besitzt der halb-dokumentarische Spielfilm eine starke Ausstrahlung.

 

DER GOLDENE HANDSCHUH von Fatih Akin (Deutschland)*

Verfilmung des Bestseller-Romans  von Heinz Strunk über die bekannt-berüchtigte Hamburger Hafen-Kneipe und über den dort verkehrenden vierfachen Frauenmörder Fritz Honka bis zu dessen Verhaftung 1975. Der Film spielt fast ausschließlich zum Einen  in dieser Kaschemme, die von alten Säufern und heruntergekommenen Wracks beiderlei Geschlechts bevölkert wird, und zum Anderen  in der schäbigen Dachwohnung Honkas, wohin er seine meist älteren Frauen abschleppt. tötet und ihre Leichen zersägt. Wohl um allem Pitoresken dieses Milieus zu entgehem, zeigt Akin alles Schreckliche und Häßliche besonders drastisch und übertriben, bis fast ins Grot. Die Maskenbildner haben ganze Arbeit geleistet, um die Gesichter und Körper der Darsteller zu verunstalten, die Schauspieler selbst  müssen betont ordinär srechen und den mimischen Ausdruck bis ins  Karikaturistische (Monster-Klischee!)  steigern. Aikin will in seinem Film  das Phänomen der Gewalt  in iihrer schlimmsten Form und ungeschönt zeigen, Doch er vermag nur Scheuslichkeiten in Pappkulissen und Kunstblut zu präsentieren, erhellend ist dieser „Goldenen Handschuh“ kaum.

KIZ KARDESLER (A Tale of Three Sisters) von Emin Alper (Türkei)*

Drama um drei Schwestern in einem abgelegenen Bergdorf in Anatolien. Alle drei Töchter wurden von den armen Eltern in die Stadt geschickt, um dort zu arbeiten und ein besseres Leben zu führen.  Aber alle drei kehren aus unterschiedlichen Gründen zum streng konservativen Vater zurück. Die älteste wurde von ihrem Arbeitgeber geschwängert und darum mit dem Dorftrottel, einem Schafhirten, verheiratet, Die mittlere Tocher bekam Alpträume und wurde krank, die jüngste von ihrem Arbeitgeber entlassen. Diese Schicksale werden in überlangen Dialogen in der schlichten, väterlichen Hütte oder gelegentlich vor gewaltiger Bergkulisse ausführlichst erzählt, zu Beginn des Films im Sommer, zum Schuß im nebligen Winter. Erstaunlich: die drei Töchter – untereinander verzankt – fügen sich bereutwillig der alten Herrschafts-Tradition und der Film schildert diese gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse fast ohne Kritik. Ziemlich langweilig.

 

L’ADIEU À LA NUIT von André Téchiné (Frankreich)****  – außer Konkurrenz –

Muriel (Cathérine Deneuve) betreibt in Südfrankreich eine Obstplantage und einen Reiterhof. Ihr Enkel Alex (Kacey Mottet Klein), den sie großgezogen hat, kommt zu Besuch, um sich zu verabschieden, da er zusammen mit seiner Freundin Leila (Oulaya  Amamra), Pflegerin im nahen Altersheim, für längere Zeit nach Kanada reisen will. Doch bald entdeckt Muriel, daß Alex zum Islam kovertiert ist und nicht nach Kanada, sondern nach Syrien ausreisen will. Sie versucht, ihn daran zu hindern, sperrt ihn im Pferdestall ein, bittet einen zurückgekehrten Dschihadisten auf den Hof, um ihn aufzuklären:: vergeblich!  Schließlich wendet sie sich an die Polizei, die Alex in letzter Minute im Reisebus  an der Landesgrenze zu Spanien verhaftet und ihn – erklärt der Beamte der verzweifelten Muriel  – vor Gericht stellen wird.

Der 75-jährige André Téchiné  hat mit seiner großen Kino-Erfahrung einen sehr spannenden, klug gebauten und sinnlich ansprechenden Film gedreht – ohne jeden moralischen Zeigefinger, aber mit dem Erstaunen des Älteren über den Fanatismus der jugen Generation. Hervorragend unterstützt durch ein überzeugendes Darsteller-Ensemble – allen voran die älter und fraulicher gewordene Cathérine Deneuve als nüchterne, aber sehr menschlich handelnde Geschäftsfrau und Obst-Plantagen-Betreiberin (der Film spielt an 5 Tagen zur Baumblüthenzeit)) und Kacey Mottet Klein („Mit siebzehn…“) als energie-geladener, aber verbohrter Enkel Alex, der auch nach  Verhaftung und Verurteilung seine Überzeugung wohl nicht aufgibt… Konventionel in seiner Erzählweise, aber ansprechendes französisches Kino – ielegant und intelligent.

 

VARDA PAR AGNÈS     Dokumentarfilm (Frankreich)****

9o Jahre ist sie alt, die berühmte französische Regisseurin Agnès Varda. Vergnügt sitzt sie in ihrem Regiestuhl und plaudert, mal vor großem Publikum in der Pariser Oper, mal in einem Kinosaal vor kleinem Kreis, mal spricht sie einfach direkt in die Kamera. Munter und ohne Unterbrechung erzählt sie über sich und ihre Arbeit, über ihre Nachbarn und Freunde, berühmte und wenig bekannte, wohltuend zurockhaltend über ihre engere Familie. Nicht chronologisch, sondern wie es ihr gerade in den Sinn kommt, berichtet sie über einige Filme, die sie gedreht hat, über „Cléo de 5 à 7“, dazu werden Ausschnitte vorgeführt und von ihr kommentiert, über „Le Bonheur“ oder – im Gespräch auf freier Wiese –  mit Sandrine Bonnaire über die Arbeit an „Vogelfrei“. Aber auch über gescheiterte Projekte wie zum 100jährigen Jubiläum der Französischen Republik.  Die stattliche und  gut gelaunte Regisseurin erinnert sich auch an ihre Lieblings-Strände in Frankreich, an die turbulenten Jahre, die sie mit ihrem Mann Jacques Demy in Los Angeles und Hollywood verbrachte, aber auch an ihre beruflichen Amfänge als Theater-Fotografin beim Festival d´ Avignon Anfang der 50er Jahre, und an die späteren Arbeiten der bildenden Künstlerin, als sieauf der Biennale in Venedig bewegte Bilder von herzförmigen Kartoffeln austellte. Ein bißchen lang ist die filmische Plauderei zwar ausgefallen, aber die alte Dame erzählt ihre Geschichten mit soviel freundlichem Charme und auch trockenem Witz und weiß dies überzeugend mit passenden Bildern zu illustrieren, daß die 115 Minuten Länge „wie im Flug“ vergehen.

 

YA MIAO ZHONG (One Second) von Zhang Yimou (China)

Der neue Film des berühmten chinesischen Regisseurs  Zhang Yimou, der eine Episode aus der Zeit der Kulturrevolution erzählen soll, wurde während des laufenden Wettbewerbs durch Peking zurückgezogen, angeblich wegen technischer Probleme bei der Postproduktion (?). Die Berliner Festspielleitung präsentierte in der angesetzten Vorstellung im Berlinale Palast und den ersten Wiederholungen im Friedrichstadtpalast sattdessen  (außerhalb des Wettbewerbs)  einen älteren Film des Regisseurs : „HERO“  aus dem Jahr 2003. Einen Historien-Schinken aus der Zeit, als China noch aus unterschiedlichen Königsreichen bestand und deshalb um deren Vereinigung gekämpft wurde. Massenszenen von reitenden Kriegern und virtuose Schwertduelle, bei denen die Kämpfenden anmutig duch die Luft fliegen, bilden den Mittelpunkt des ganz auf Schauwerte reduzierten Farb-Spektakels. Trotz üppiger Ausstattung, raffinierten Bildern und kunstvoller Cadrierung – wirkt der Film heute ziemlich fade und langweilig.

 

LA PARANZA DEI BAMBINI  von Claudio Giovannesi (Italien)**

Der Film beschreibt wie eine Gruppe neapolitanischer Jugendlicher sich in die Machenschaften krimineller Banden verstricken, bzw. sich verstricken lassen. Im Mittelpunkt steht der 15jährige Nicola, der zunächst beobachtet, wie seine Mutter, die einen kleinen Geschäftsstand betreibt, Schutzgeld zahlen muß. Um sie davon zu befreien, läßt er sich mit den Erpressern ein. Als Gegenleistung verlangen diese zunächst kleine Hilfdienste wie Drogen an Klienten zu übergeben oder selbst Schutzgelder einzukassieren. Gekötert mit Geld für neue Klamotten oder teure Disco-Besuche,, geraten Nicola und seine Freunde immer enger in die Kreise mafiöser Verbrechen, das Ende bleibt offen… Die Vorlage ist ein Roman des bekannten (und unter Polizeischutz lebenden) Journalisten Roberto Saviano („Gomorrah“), der auch das – mit einem silbernen Bären ausgezeichnete – Drehbuch zu diesem Film schrieb.  Doch Regisseur Claudio Giovannesi überdeckt die radikal-gezeichnete Realität mit den spektakulären Mitteln des üblichen Gangster-Thrillers: oppulente Breitwand-Bilder, rasche Schnitte, pitoreske Kulisse (Neapel zu jeder Jahreszeit!), gut aussehende Darsteller-Typen, rasantes Tempo. Statt kritischer Zustandsbeschreibung – ein durchschnittlicher, wenn auch effektvoller Unterhaltungs-Krimi.

 

 

 

Murx den Belcanto: ‚La Sonnambula‘ in der Deutschen Oper Berlin****

8. Februar 20198. Februar 2019Allgemein

Ort und Zeit der Handlung von Vincenzo Bellini’s „Schlafwandlerin“ (UA: Mailand, 1831) sind ein Dorf in der Schweiz im frühen 19.Jahrhundert. Doch die Neu-Produktion der Deutschen Oper Berlin überträgt die italienische Belcanto-Oper in die Gegenwart. Die szenische Gestaltung ist aus Stuttgart übernommen, erdacht und erarbeitet vom damaligen Intendanten Jossi Wieler und seinem Dramaturgen Sergio Morabito und dort  2012 zur  „Aufführung des Jahres“ gekürt. Für die Bühnenbild und Kostüme war und ist Anna Viebrock zuständig – und prompt scheint die gesamte, dreistündige Aufführung einem von Christoph Marthaler gestalteten Abend zu gleichen. Das somnambule Verwechslungsspiel ereignet sich in einem traditionell-eingerichteten Gasthaus von heute, vorwiegend in einem großen Saal mit gewölbter Verputzdecke, hölzernen Wand-Panelen, auf- und zuklappbaren Tischen und Bänken. Meist gefüllt von braven, gut gekleideten Bürgern, die gerne ihrer Sangeslust in kräftigen Chören frönen. So auch bei der anstehenden Hochzeit zwischen der hübschen Dorf-Waise Amina und dem reichen Landwirt Elvino. Immer misstrauisch beobachtet von der blond-eleganten Wirtin Lisa, die sich selbst Hoffnungen auf den selbstbewußten Bräutigam gemacht hat.  Eine turbulente Komödie beginnt – zwischen Hyperrealismus und Groteske, zwischen dörflichem Biedersinn und anrührender Menschlichkeit. Und doch scheinen sich hinter der fröhlichen Gemütlichkeit immer wieder dunkle Geheimnisse oder rätselhafte Untiefen zu verbergen. Natürlich gibt’s in diesem dickwandigen Wirtshaussaal und dieser eng-verschworenen Bürger-Gemeinschaft kein Happy End, sondern am Schluß  bleiben neben dem großen Blutfleck auf Aminas Nacht-Hemd nur verwirrte Gemüter und offene Fragen übrig – ein kritisch-schöner Kontrast zu den laut-schallenden Jubel-Klängen von Bellinis wunderbarer, sanglicher Musik.

Mit viel Verve verkörpern die Sänger des (wohlklingenden) Chors, die hier sehr individuell gekleidet sind und auch so agieren dürfen, ebenso wie die Darsteller der Nebenfiguren ihre oft schrulligen Rollen. Helene Schneidermann wuselt mit großer Handtasche als Aminas Mutter beflissen-besorgt zwischen Tischen und Bänken umher, Ante Jerkunica spielt mit prachtvollem Baß den nicht ganz uneigennützigen Strippenzieher der Geschichte, Alexandra Hutton als Wirtin Lisa versteckt mit geläufiger Gurgel fast zu geschickt ihre Eifersucht hinter cooler Lässigkeit.

Auch die beiden Gast-Solisten fügen sich singend und spielend bestens in die – für sie sicherlich ungewohnte – Darstellungsweise ein: Die russische Sopranistin Venera Gimadieva gewinnt mit mädchenhafter Anmut und leichten Koloraturen das Herz ihres geliebten Elvino, den der kurzfristig eingesprungene Mexikaner Jesus Leon mit tempramentvollem Spiel und und sehr hellen, etwas flachem Tenor verkörpert.

Als Dirigent debütiert ein zweiter kurzfristiger Einspringer. Stephan Zillas. Er beginnt etwas zögerlich, doch dann gelingt es ihm, Bellinis ausladenden Belcanto zu ebenso schönem.wie dramatischen Klang zu verdichten. Großer Applaus.

Premiere: 26.Januar 2019

Kino & Theater Februar 2019

5. Februar 201926. Februar 2019Allgemein

Green Book*** / Die Zauberflöte* / Vic*** / Can You Ever Forgive Me ?****

 

GREEN BOOK  von Peter Farrelly / USA 2018 ***

Tony „The Lip“ ist ein momentan arbeitsloser Nachtclub-Türsteher im New York von 1962, ein typischer Proll und Italo-Amerikaner. mit rauer Schnauze und schnellen Fäusten. Da er ständig Geld für seine Familie braucht, läßt er sich als Fahrer des hochnäsig-vornehmen, schwarzen Pianisten Dr.Don Shirley anheuern: für eine achrwöchige Tournee durch die amerikanischen Südstatten. Das kleine „Grüne Buch“ soll ihm helfen, passende Ünterkünfte zu finden, vor allem solche, in denen auch Schwarze willkommen sind.  Obwohl der Pianist hauptsächlich vor einm reichen, weißen Publikum  – ob in deren Herrenhäsern oder im Konzertsaal – gastiert, und zwar immer erfolgreich. Auch wenn er gelegentlich sich selbst fragt, warum der deses Spiel mitmacht.

Der Regisseur Peter Farrelly, der auch das Drehbuch mitgestaltete, vereint in diesem gefälligen „Wohlfühl-Film“ die bekannte Geschichte von zwei gegensätzlichen Typen, die zu „besten Freunden“ werden vor dem Hintergrund der – vor allem iin den Südstaaten – besonders ausgepägten Rassentrennung. Ein flott inszenierter und von Viggo Mortensen (Tony) und Mahershala Ali (Don) hervorragend gespieltes „Road-Movie“, das jedoch in jeder Episode vorhersehbar und wenig überraschend ausfällt. Gut gemeint, doch bleibt „Green Book“ in jeder Beziehung in den bekannten Film-Klischees stecken, ob in der „Buddy“-Beziehung oder in der Darstellung des Rassismus.in den USA. Die nach wie vor böse Realität der Rassentrennung und ihrer schlimmen Auswirkung auf die Gesellschaft verschwimmt in einer zwar effektvollen, aber „romantisierten“ Komödie im Unterhaltungs-Stil von Hollywood.

Seit dem 31.Januar 2019 in den deutschen Kinos

 

DIE ZAUBERFLÖTE (NEU) in der Staatsoper Unter den Linden*

Theater auf dem Theater: Pamina und Tamino sind lebendige Marionetten, in roten Lackstiefelchen und schwarzen Slips. Wie auch Papageno, die Königin der Nacht oder Sarastro hängen sie sichtbar an langen Strippen aus dem Bühnenhimmel, mal fliegen sie ganz hoch, mal schweben sie knapp über dem Boden, immer heftig mit den Armewn rudernd oder zappelnd. Und das vor vielen farbig bemalten Prospekten oder Requisiten, Teils ganz abstarkt, teils kindlich realistisch. Drahtzieher im wörtlichen Sinn sind – wie es sich dann im Schlußbild erweist – die drei kurzbehosten Knaben, die mit schelmischer Lust die Puppen tanzen lassen.

Doch Mozarts Musik erzählt von echten Menschen, von ihren Gefühlen, ihren Ideen. Da jedoch die eingesprungene Dirigentin Alondra de la Parra viel Mühe hat, Orchester und die unterschiedlichen Aktionen auf der Bühne zu koordinieren, wird der menschliche Mozart von den hölzernen Marionetten tolpatschig überspielt. Auch die Sänger bleiben so verpuppt im Mittelmaß:  Julien Pregardien  mit hellem Tamino-Tenor, Serena Sáenz Molinero aus dem Opernstudio und ebenfalls eingesrungen  als Pamina, die Finnin Tuuli Takala als koloratursichere Königin der Nacht, Kwangchul Youn mit etwas orgelndem Baß als Sarastro. Auc die drei Damen schweben eng aneinander gebunden und wenig harmonisierend an langen Strippen durch die Lüfte. Die hübsche, alte Idee, die Rolle des Papageno einem Schauspieler anzuvertrauen, macht diesmal kaum Effekt, was nicht am agilen Wiener Schauspieler Florian Teichtmeister lag, sondern an der insgesamt uninspirierten Regie des Amerikaner Yuval Sharon, der in Mozarts vielschichtiger „Zauberflöte“ nur knallig.buntes Puppentheater entdeckte.  Glücklicherweise hat die Staatsoper ihre „alte“ Zauberflöte mit den Schinkel-Bühnenbildern aufbewahrt: ab 26.April kann sie wieder besichtigt werden.

Premiere: 17.Februar 2019

 

VICE – DER ZWEITE MANN  / von Adam McKay (USA 2018)***

Polit-Satire über die amerikanische Politik der letzten Jahrzehnte, brilliant bebildert als furioses Bio-Pic des Politikers Richard Bruce Cheney. genannt „Dick“. Cheney (intensiv: Christian Bale), angetrieben von seiner resoluten Frau Lynne (Amy Adams), beginnt seine politische Karriere als Assistent bei Donald Rumsfield (Steve Carell), wird Mitglied der Republikaner und Stabschef im Wei0en Haus unter Bush Senior und später – nach seiner Entlassung in den Ruhestand – von Bush Sohn (Sam Rockwell) als Vize-Präsident in die Politik zurückgeholt. Cheney, aus Wyoming stammend, entpuppt sich als äußerlich ruhiger, scheinbar zurückhaltender, in Wirklichkeit jedoch skupelloser Strippenzieher, der einem schwächlichen Präsidenten Bush sowohl die strengen Sicherheitsgesetze nach 9/11 wie auch den Irak-Krieg mit falschen Gründen  einredet. Und der geschickt den Vermögenden und den großen Wirtschaftsbossen die Türen in Washington zu beiderseitigem Vorteil öffnet. Privat ist er seinen beiden Töchter ein liebender Vater, aber auch ein von vielen Herzinfarkten geplagter Mann.

Regisseur und Drebuchautor entfesseln einen 130-minütigen, temporeichen Bilderstrom, in dem sich Wahres und Vermutetes, Verzerrtes und Übersteigertes, finstere Komödie und  schrilles Drama, Karikatur und Satire einfallsreich und virtuos mischen, in der die Bilder wie Gedankensplitter mal vor, mal zurückspringen, Anspielungen im Wort einer Erzählerstimme, in Schrift und Ton mit zynischer Blödelei und bösem Witz gespickt sind. Dokumentaraufnahmen wechsel oft blitzschneell mit Fakes, fügen sich zum spektakulär-rassanten Szenen-Kaleidoskop, Für nicht mit der amerkanischen Innenpolitik vertrauten Zuschauern gelegentlich in Einzelheiten schwierig zu verstehen. Auch werden Charakter- und Milieu-Zeichnung gelegentlich so stark übertrieben, daß der satirische Stachel stumpf wird und ins Leere driftet. Am Schluß – nach den ersten Abspanntiteln – plötzlich noch ein kurzes Nachspiel:  zwei Männer im handgreiflichen Streit über die Politik des gegenwärtigen Präsidenten Donald Trump. Der wohl auch der Grund war, den fast vergessenen Republikaner Dick Cheney so grell und polemisch ins heutige Kino zu hieven.

Seit dem 21.Februar 2019 in deutschen Kinos

 

CAN YOU EVER FORGIVE ME ?  von Marielle Heller (USA 2018)****

Lee Israel (1939 – 2014) war eine New Yorker Journalistin und Autorin, die in den 1960er und 1970er Jahren mit großen Reportagen und Biografien prominenter Zeitgenossen viel Erfolg hatte. „Can you ever forgive me“ ist der Titel ihrer Memoiren und zugleich ein Zitat der von ihr porträtierten Schriftstellerin Dorothy Parker. Doch der von der amerikanischen Regisseurin Marielle Heller gedrehte Film zeigt Lee Israel im Alter von 51 Jahren, als ihr einstiger Ruhm schon verblasst ist. Sie haust einsam mit ihrer alten Katze in einem schmuddeligen Appartement in Manhattan, bleibt die Miete schuldig, ersucht vergeblich ihre Agentin um einen Vorschuß, betäubt ihr Elend mit viel Wisky. In ihrer Not verkauft sie einen alten Dankesbrief von Katherine Hepburn für deren Biografie, entdeckt dabei, daß es finanzstarke Sammler, Käufer und Antiquare für solche Schrftstücke gibt. Kurz entschlossen fingiert sie auf alten Schreibmaschinen und angegilbten Papier solche „privaten“  Brief verstorbener Literaten oder Schauspieler. Verkauft sie mit Hilfe ihres alternden, schwulen Trinkerfreundes Jack, bis der dollarträchtige Handel auffliegt und Lee zu einer langer Bewährungsstrafe verurteilt wird.

Mit viel Gespür für die Atmosphäre der frühen 90er Jahre in Manhattan, als solche Loser wie Lee Israel und ihr Freund Jack dort leben und überleben konnten, erzählt Regisseurin Mareille Heller die ebenso bittere wie komische Hochstabler-Geschichte im Milieu der New Yorker Bibliotheken, Buch-Verlagen und Antiquariaten. Getragen wird der Film von der bewegenden und nuancenreichen Verkörperung der Lee Israel durch Melissa McCarthy: eine kompakte, ältere Frau, eher schäbig gekleidet, eine Einzelgängerin mit frechem Mundwerk, aber auf ihre ruppig-abweisende Art anderen Einzelgängern wie ihrem schwulen Trink-Kumpan Jack durchaus zugetan, ebenso  selbstbewußt wie clever, im Grund nicht ganz unfreiwillig einsam und heruntergekommen. Richard E.Grant ist als alternder egozentrischer Schwuler und Säufer ihr ein ebenbürtiger Partner. Ein sehr fein zwischen alltäglicher Komik und lbitterer Melancholie austarierter Film über zwei eigentlich unsympathische Personen, die jedoch  in ihrer verborgenen, stillen Menschlichkeit symphatisch werden.

In den deutschen Kinos seit dem 21.Febr. 2019

Gefällige Routine: ‚La Bohème‘ in der Komischen Oper***

3. Februar 20193. Februar 2019Allgemein

Die Erwartungen waren hoch – doch statt eines großen Wurfs gelingt Barrie Kosky und seinem Team nur eine mittelprächtige Inszenierung von Puccinis populärem Meisterwerk „La Bohème“ (1896). Sein Stil: konventionell erzählt, knappe Ausstattung, Konzentration auf stark bewegliche Personenführung. Die große Bühne ist von Anfang an offen und leer. Eine kleine erhöhte Spielfläche an der Rampe, darauf ein schmaler Röhren-Ofen, dient als Dachkammer der Bohèmiens, rasch hereingeschobene Tische, Stühle und Straßenlampen deuten das Café Momus und den Boulevard an, ein altes SchwarzWeiß-Foto einer Hauswand wird zum grau-projezierten Hintergrund der Abschieds-Szene am Pariser Stadtrand. Dazu Kostüme mit viel Karo-Musttern, die Schnitte von Vorgestern mit Heute kombinieren. Wild toben die vier Bohème-Künstler auf ihrer winzigen Dachkammerfläche, turbulent wuselt die Pariser Halbwelt-Gesellschaft auf der Drehbühne des Cafè Momus, einsam verlieren sich Mimi und Rudolfo an der neblig-grauen Stadtgrenze. Am Ende stirbt Mimi ganz einsam in der Dachkammer, nachdem alle sie verlassen haben – hier erreicht die Aufführung ihren emotionalen Höhepunkt – auch dank der berührenden Darstellung von Nadja Mchantaf als mädchenhaft-schlichte, lebenslustige Mimi. Im Gegensatz zu ihr agieren die vier  Bohémiens auf Hochtouren, sie turnen und chargieren, was das Zeug hält – auch musikalisch. Gerard Schneider setzt als Rudolfo mit kräftigem Tenor auf Lautstärke, ebenso der wendige Bariton Günter Papendell als Marcello, der in dieser Inszenierung vom Kunst-Maler zu Fotografen samt altertümlicher Großbildkamera mutiert, sowie Philipp Meierhöfer als philosophierender Colline und Daniel Foki in der Rolle des Musikers Schaunard. Als kapriziöse Musette zeigt Vera-Lotte Böcker zwar hübsche Kleider, aber wenig Profil. Bewährt in Spiel und Gesang sind dagegen die kurzen Auftritte von Chor- und Kinder-Chor. Am Dirigenten-Pult: der 1.Kapellmeister des Hauses Jordan de Souza. Er betont die Farbigkeit der von Debussy und Massenet beeinflussten Musik Puccinis, sorgt für kräftige Akzente im dramatischen Fluss und setzt auf präzisen Orchesterklang. Problematisch aber bleibt die Balnce zwischen Bühne und Orchestergraben – statt dynamisch abgestuft zu differenzieren, übertrumpfen sich Sänger und Orchester oft in unerträglicher Lautstärke. Hier müßte (und kann) nachgebessert werden.

Kein verlorener Abend, aber gemessen an anderen Regie-Arbeiten beweist Barrie Kosky mit dieser „Bohéme“, daß auch ein Spitzen-Mann gelegentlich nur mit Wasser kocht…

 

Kino & Theater – Januar 2019

17. Januar 20193. Februar 2019Allgemein

SHOPLIFTERS (Familienbande) von Hirokazu Kore-eda (Japan 2018)****

Graue Betonwüste am Rand von Tokio. Hier lebt in ärmlichen Verhältnissen eine fünfköpfige Familie – überwiegend von der Rente der Oma,  Die Mutter geht Gelegenheitsarbeiten nach, ihre mitwohnende Halbschwester jobt in einer Art Peepshow, der Vater und der 12jährige Sohn klauen im Supermarkt die nötigen Lebensmittel. Erst im Lauf des 121 Minuten langen Films stellt sich heraus, daß diese Familie nicht duch Blutsverwandschaft zusammen gehört, sondern aus Personen besteht, die sich duch Zufall und sozialer Isolation gefunden haben. Doch am Ende lösen sich diese „Familienbande“ wieder auf. Eine hochintelligente, ganz in filmische Bilder und einfache Alltagssprche übersetzte Frage, nach Sinn und Bedeutung familiärer Strukturen – ohne Ideologie und mit viel Emphatie. Zurecht gewann der Film 2018 die Goldene Palme in Cannes.

In verschiedenen Berliner Kinos: OmU und dt.Fassung

 

‚VIOLETTER  SCHNEE‘ in der Staatsoper***

Uraufführung der neuen Oper des österreichisch-schweizer Komponisten Beat Furrer. Das Libretto nach einem Text von Wladimir Sorokin stammt von Händl Klaus. Verarbeitet in dem etwa 100-minütigen Musikdrama sind außerdem Eindrücke aus Filmen von Tarkowski sowie eine Ausdeutung des berühmten Breugel-Gemäldes „Die Jäger im Schnee“. Gleich in der Anfangsszene  sitzt die Schauspielerin Martina Gedeck vor diesem Bild im Wiener Museum und erzählt dessen Inhalt – so wie sie ihn deutet. Danach werden fünf Menschen  – ein muteres und ein ängstliches Paar sowie ein grübelnder Einzelgänger  –  in ihrer Behausung dramatisch eingeschneit. Immer stärker wir dieser Schneesturm – am Ende steht die Kathastrophe, nachdem zuvor noch eine seltsame Frau in Weiß – wiederum Martina Gedeck –  gleichsam als Todesbotin aufgetreten war. Die Musik von Beat Furrer erfasst das Geschehen mit ebenso differenzierten wie raffinierten Klängen: butal geballte Bech- und Holz-Bläser-Massen zu Beginn, schwebende, sanft verklingende Steicher-Töne am Ende. Die Inszenierung von Claus Guth setzt auf ein oppulentes Bühnenbild (Etienne Plus) mit enger Kammer, weitläufig-surrealem Treppenhaus (durch das gelegentlich Breugel-Figuren huschen)  und einer düsteren, sich ins Dunkle verlierenden Straße. Komponisten-Kollege Matthias Pintscher dirigiert umsichtig die subtil die Klangvaleurs auslotende Staatskapelle, die Sänger überzeugen in ihren etwas schematisch angelegten Rollen (Anna Prohaska, Elsa Dreisig, Gyula Orendt, Georg Nigl, Otto Katzameier) und die sich überblendenden Videos auf dem Gazevorhang (Arian Andiel) sorgen für die kunstgeschichtlich aufgewertete, unheilschwangere Atmosphäre : Breugels „Jäger im Schnee“ als überzeitlich, warnendes Menetekel.

Premiere: 13.Jan.2019, weitere Vorstellungen: 16./24./26./31.Jan.2019

 

THE FAVOURITE – Intrigen und Irrsinn  / von Yorgos Lanthimos (GB/IR/USA, 2018)

Satirische Komödie am englischen Königshof des frühen 18.Jahrhundert. Obwohl ein Krieg mit Fankreich im Gange ist, interessiert sich die regierende Königin Anne weder um Sieg oder Frieden noch um ihr darbendes Volk. Staatsgeschafte überlässt die kinderlose und hypochondrische Monarchin ihrer Vertrauten und Geliebten Sarah Churchill, der Lady Marlborought. Diese wiederum bestimmt, was das Parlament zu beschließen hat – ein leichtes Spiel bei diesen exzentisch-debilen „Volksvertretern“. Doch unerwartet taucht in Gestalt der mit den Marlboroughts weitläufig verwandten „Cousine“ Abigail eine taffe Konkurrentin auf. Geschickt schleicht sich die junge, blonde Land-Adlige ins Vertrauen der alternden Königin und löst einen bissig-bösen und zugleich komischen  Kampf zweier höchst attraktive Ladys aus.

Regisseur Yorgos Lanthimos („The Lobster“,2015 / „The Killing of a Sacred Deeer“, 2017)  präsentiert den historischen Zicken-Streit mit raffinierten filmischen Mitteln: Kamerafahrten aus der Frosch-Perspektive durch pompöse Galerien und Boudoirs, schrille Montagen von Bild und Ton, surreale Rückblenden und verblüffende An- und Aus-Schnitte. Brilliante, spitzzüngige Dialoge, fantasievoll-elegante Kostüme und spleenige Aktionen der englichen Oberschicht wie Gänse-Wettrennen oder Apfelsinenschlachten bilden ein kurios-dekadentes Panorama vor englicher Schloß- und Landschaftskulisse. Dazu drei fulminante Schauspielerinnen,die mit stolzer Haltung und grimmigem Witz ihre jeweilige Rolle perfekt verkörpern: Rachel Weisz als ehrgeizig-intrigante Sarah Churchill, Emma Stone als scheinbar ehrlich-hübsche, aber äußerst listige Abigail und Olivia Coleman in der eigentlich tragischen Rolle der kinderlosen und geistesschlichten Quenn Anne.

Alle drei Schauspielerinnen, der Regisseur, die Drehbuch-Autoren, der Kameramann, die Szenen- und Kostümbildner sowie der Film als Gesamt-Produktion sind für den diesjährigen Oscar am 24.Februar nominiert.

Seit dem 24.Januar 2019 in den deutschen Kinos

Zwei außergewöhnliche Filme: *Cold War‘ und ‚Roma‘

14. Dezember 2018Allgemein

Mehr oder weniger zufällig kamen zwei hervorragende Filme innerhalb kurzer Zeit (Ende November/Anfang Dezember 2018) in die deutschen Kinos: die polnische Liebesgeschichte „Cold War“ (deutscher Titel: ‚Der Breitegrad der Liebe‘) und die Mexiko/USA-Produktion „Roma“. Beide sind in Schwarz/Weiß gedreht, beide erzählen private Schicksale, die jedoch  – ohne plakativ zu werden –  sehr sensibel mit ihrem politisch-gesellschaftlichen Umfeld verknüpft werden und dadurch überzeugende Bedeutung und Größe gewinnen.. Beide sind auch  kinematographisch phantasie- und eindrucksvoll.

„COLD WAR“ von Pawel Pawlikowski****

Der Warschauer Musiker Wiktor erhält 1949 den Auftrag auf einem ehemaligen Herrensitz ein Folklore-Ensemble aus jungen Sängern und Tänzern zusammenzustellen, um mit dieser Tuppe die Kultur des neuen sozalistischen Staates zu repräsentieren. Unter den jungen Musikern lernt Wiktor die große Liebe seinen Lebens kennen, die eigenwillige, etwas undurchschaubare Susanna, genannt Zula. Doch die Beziiehung läuft nicht glatt, immer wieder trennen sich die Beiden im Streit. Ein Gastspiel des nach einigen Jahren im Ost-Block sehr erfolgreichen Folklore-Ensembles in Ostberlin, nutzt Wiktor zur Flucht in den Westen, Susanna – hin und hergerissen – aber bleibt in Polen. Wiktor gelingt es in Paris, sich als erfolgreicher Musiker zu behaupten. in den späteren 1950er Jahren besucht ihn Susanna, doch nach einiger Zeit geht auch hier ihr Zusammensein in die Brüche, Zula kehrt nach Warschau zurück. Als Wiktor ihr später folgt, wird er als einst Republikflüchtiger verhaftet und zu langer Gefängnisstrafe verurteilt, Die inzwischen verheiratete Susanna kann ihn zwar (nach vier Jahren) dank der Beziehungen ihres Mannes aus der Haft holen, doch Wiktor ist seelisch gebrochen. Beide glauben, ihre tiefe Liebe nur noch im Tod verwirklichen zu können.

Hervorragende Schauspieler (Joanna Kulig,Tomasz Kot), eine raffinierte Dramaturgie, die geschickt filmische Elipsen einsetzt, eine intensive Kamera, die effektvoll zwischen Hell und Dunkel chargiert,und das kluge Drehbuch, an dem Regisseur Pawel Pawlowski (61) starken Anteil hat, machen diese gefühlsstarke Liebes-Beziehung in den Zeiten des polnisch gefärbten Stalinismus zu einem ebenso überzeugenden wie attraktiven Kino-Erlebnis.

‚ROMA‘ von Alfonso Cuarón****

Nach seinen großen Erfolgen in Hollywood (‚Children of Men*, ‚Gravity‘) kehrt der mexikanische Regisseur (58) in seinem neuen, für Netflix produzierten Film zu seinen Wurzeln zurück und reflektiert Eindrücke aus seiner Kindheit, die er im Stadtteil Roma von Mexiko-City verbrachte. In ausgetüfftelten, schwarz/weißen Breitwand-Bildern erzählt er vom Alltag einer gut-bürgerlichen, mittelständischen Familie: der Vater,  Arzt und oft auf Reisen, die Mutter ebenfalls Akademikerin, die ihren Beruf jedoch zu Gunsten der Familie aufgegeben hat, vier sehr lebhafte Kinder, die noch zur Schule gehen, eine rüstige Großmutter und zwei weibliche Angestellte leben in diesem wohlhabenden Haushalt. Es sind typische Vertreter der mexikanischen Klassengesellschaft zu Beginn der 1970er Jahre, deren Auseinanderbrechen sich in einigen Szenen schon klar andeutet. So graten das Kindermädchen Cleo und die Großmutter beim Besuch eines Möbelgeschäftes in eine wilde Schießerei zwischen revoltierenden Sudenten und der brutal zurückschlagenden Polizei. Ein anderes Mal sucht Cleo in der näheren Umgebung nach dem Vater ihres noch ungeborenen Kindes und findet ihn bei einer Kraft-Sport-Truppe, die von einem „esoterischen“ Trainer geführt wird und latente und bedrohlpche  Gewaltbereitschaft ausstrahlt. Auch in der scheinbar harmonischen Familie zeigen sich Risse: der Vater verläßt das Haus, zieht zu einer Geliebten, die Mutter muß ihren Beruf wieder aufnehmen, um den Lebensstandart halten zu können. Doch im Mittelpunkt des Films steht die indigene Cleo, die zwar gemeinsam mit der Familie den Abend vor dem Fernseher verbringen darf, dabei aber immer auch Gläser oder Snacks auf- und abräumen muß.  Das liebenswürdige Haus– und Kindermädchen wird auch generös von der Hausherrin betreut und versorgt, als es ein Kind erwartet, und dieses nach einer Todgeburt verliert. Cleo bleibt der ruhige und sanfte, meist stumme Mittelpunkt im ständig wechselnden Auf- und Ab dieser Familiengemeinschaft.

Die große Kunst des Regisseurs besteht in der Art und Weise wie er diese Familiengeschichte erzählt. Nämlich in einem breit angelegten Fluß betörender Bilder und Sequenzen, voll gespickt mit hinweisenden Details oder aus ungewöhlichen aber charakterisierenden Perspektiven (Boden-Kacheln, die vom Putzwasser überspült werden, die rasante Kamerafahrt durch aufgepeitschte Meereswellen, aus denen Cleo den jungen Paco rettet, durchs Glasdach sichtbare Wolkenfelder mit durchquerendem Flugzeug). Kühn auch die oft verkürzende Erzählstruktur und  der spannungsreiche Wechsel zwischen ruhigen Szenen im Haus und dramatischen Ereignissen wie dem lautstarken Studenten-Protest oder der turbulenten Silvesterfeier in brennender Natur. Regisseur Alfonso Cuarón ist prägend auch am Drehbuch, an der Kamera und am Schnitt mitbeteiligt, was dem 135 Minuten langen Film sicherlich zu seiner künstlerischen Geschlossenheit und Wirkung verhilft. Aus dem hierzulande unbekannten Darsteller-Ensemble ragt die indugene Yalitza Aparicio als Hausmädchen Cleo heraus, in jeder Einstellung überzeugend, auch wenn der Regisseur (kleiner Einwand!) ihrer Figur fast ausschließlich engelhafte Züge verliehen hat.

(„Cold War“ ist noch in zahlreichen Berliner Kinos zu sehen / „Roma“ wurde in nur wenigen Vorstellungen in ausgewählten Kinos gezeigt und ist ab 14.12. bei Netflix abrufbar)

Robuster Tag-Träumer: ‚Les Contes d`Hoffmann‘ in der Deutschen Oper Berlin****

6. Dezember 2018Allgemein

Zu Beginn von Jacques Offenbachs letztem Bühnenwerk (Paris 1881) sitzt in der neuen Fassung der Deutschen Oper der Dichter Hoffmann am linken  Portal der sonst noch dunklen Bühne und lauscht den – nicht sichtbaren – Chören der Weingeister. Dann erscheint in weiß-fließendem Gewand seine Muse und verspricht dem trunksüchtigen Dichter, ihn auf seinem weiteren Weg zu begleiten – in Gestalt seines Freundes Nicklausse. Die Bühne wird sanft hell, Wände gleiten herein oder (aus dem Bünenhimmel) herab und bilden permanent neue,  bläuliche, sparsam beleuchtete Räume: die karge Studenten-Kneipe von Lutter & Wegner, in der Hoffmann seine Erzählungen mit dem Lied vom Klein-Zack beginnt, dann das schmal zulaufende, hohe Labor des Physiker Spalanzani mit dessen Tochter-Puppe Olympia im dunklen Hintergrund, das dämmrig-surreale Treppenhaus der kranken Sängerin Antonia und der mit Riesen-Spiegeln verzierten Luxus-Salon der venezianischen Kurtisane Giulietta. Am Schluß dieser fantastisch-skurrilen Reise liegt Hoffmann  – wie zu Beginn –  am linken Bühnenrand jetzt sturtzbetrunken und erschöpft, aber immer noch treulich bewacht von dem wieder in Gestalt der Muse erscheinenden Nicklasse…

Der französische Regie-Star Laurent Pelly hat die kluge, kühl distanzierende  Aufführung 2005 für Lyon erarbeitet. So erfolgreich, daß sie danach auch in Barcelona und San Francisco zu sehen war und jetzt für Berlin  neu einstudiert wurde. Sie besticht durch die elegant gleitenden Bühnenbilder (von Chantal Thomas), den schlicht-vornehmen Kostümen im Stil der Enstehungszeit der Oper (vom Regisseur selbst entworfen) sowie durch eine klare, fantasievollen Bewegungsführung von Chor und Solisten. Eine Inszenierung, die konventionell erzählt und dennoch in ihrer Präsenz sehr gegenwärtig und theatertauglich wirkt.

Vor allem aber dient sie der Musik, die hier unter dem italienischen Dirigenten Enrique Mazzola ganz prachtvoll zur Entfaltung kommt: Das Orchester der Deutschen Oper zeigt sich in Top-Form: detailgenau, durchhörbar, leicht unf federnd im Rhythmus, vielfarbig im Klang. Vor allem aber stützen und begleiten Dirigent und Orchester die große und heftig agierenden Sängerschar sehr feinfühlig und sensibel.

Der schwedische Tenor Daniel Johansson singt und spielt einen (zu ?) kraftvollen Hoffmann, die rumänische Sopranistin Cristina Pasaroiu beherrscht die Koloratur der Olympia ebenso perfekt wie den lyrisch-vollen Ausdruck von Antonia und Giulietta. Prachtvoll in seiner tiefen Baß-Stimme und überzeugend in den vier verschiedenen Rollen als Bösewicht: der Italiener Alex Esposito. Die Haus-Mitglieder Irene Roberts (Muse/Nicklasse) und Gideon Poppe (Chochenille, Franz) vervollständigen das attraktive Solisten-Ensemble. Den mächtigen Chor hat Jeremy Bines bestens vorbereitet.

Clou des mit vier Stunden etwas lang geratenen Abends ist jedoch im zweiten Akt der ungewöhnliche Auftritt der Olympia, die zunächst mit puppenartigen Bewegungen ihre berühmte Zwitscher-Arie beginnt. Doch mit der ersten Koloratur schwebt sie plözulich steil nach oben, ohne daß sie dabei von irgendwelchen Seilen gezogen würde. Und immer weiter schwebt sie im Takt der Musik hoch und nieder, im Schwung der Musik mal nach rechts, mal nach linkts. Die Zuschauer in der Deutschen Oper reagieren verblüfft und mit unterdrückten Ah`s und Oh`s.. Erst während der letzten Strophe läßt der Regisseur den Trick erkennen: Olympia trägt einen großen, weiten Rock, der verbirgt, daß sie auf einem Stuhl sitzt, der von einer langen Stange und einer damit verbundenen  Apparatur hinter dem scharzen Vorhang geteuert wird – ein Theater-Trick, der schon zu Offenbachs Zeiten für Verblüffung sorgte. Der Beifall in der Deutschen Oper war enorm.

Premiere: 1. Dezember 2018

Groteske Revue: ‚Candide‘ in der Komischen Oper Berlin***

2. Dezember 2018Allgemein

Auf der dunklen Bühne schält sich im Spotlicht aus einer riesigen Barock-Perücke ein Mann in Kniehosen: der Dichter Voltaire. Kurzerhand stellt er uns – ebenfalls in einen Spotlicht getaucht – seinen Roman-Helden vor: den etwas dicklichen, jungen Mann in bayrischer Lederhose namens Candide. Schnell verwandelt sich Voltaire in Candide‘ s Lehrer verwandelt, flößt ihm und seinen Halbgeschwistern Kunigonde und Maximillian die Idee von der besten aller Welten ein, und erzählt dann im Schnelldurchlauf von der turbulenten Reise seines Schützlings um die Welt. Wie Candide seine geliebte, aber verschwundene Kunigonde sucht, erst in einem wilden Krieg im märchenhaften Bulgarien, dann im vom Erdbeben zerstörten Lissabon, im Flamenco-schäumenden Spanien, auf dem Sklavenmarkt im südamerikanischen Surinam mit seinen blöckenden Wunder-Schafen, im gold-gitzernden Eldorado, später im Glücksspiel-süchtigen Venedig, bis er mit der wiedergefundenen Kunigunde und einer weisen, alten Frau in einem Alpen-Gebirgstal auf einem Bauerhof tätig und glücklich wird.

Regisseur Barrie Kosky und sein Team lassen in ihrer Neu-Inszenierung das 1956 in New York uraufgeführte Musical von Leonard Bernstein als temporeiche, absurd-ironische Revue über die fast leere Bühne der Komischen Oper brausen:  ein groteskes Spektakel aus parodierten Opernarien, gefühlvollem Operetten-Schmalz, flotten Musical-Nummern und schmissigen Tanz-Einlagen. Die Choreographie (Otto Pichler) spielt dabei eine entscheidende Rolle: Alle und Alles drehen sich, springen und wirbeln ohne Unterlass: die wilden „bulgarischen“ Soldaten, Kunigonde an der Tabel-Dance-Stange („Glitter and Be Gay“), die zackigen Flamenco-Spanier, die Krücken schwingenden Krüppel im elenden Amerika oder die weißen Clowns-Masken in nächtlichen Venedig.

Gespielt und gesungen von einem temperamentvollen Ensemble: Allan Clayton als tenoral-glänzender und naiver Bubi Candide, Nicole Chevalier als verführerisch-elegante, aber gesanglich an Grenzen stoßende Kunigonde, Anne Sofie von Otter als alt-kluge Pennerin, Franz Hawlata als erzahlender Voltaire und zugleich optimistisch-philosophierender Lehrer mit schrägem Wiener Schmäh sowie der fabelhafte Chor und die zahlreichen Sänger-Darsteller in grell-pointierten Nebenrollen.

Jordan de Souza leitet das Orchester: oft sehr laut und dröhnend, doch in den Solo-Nummern unterstützr er die Sänger sehr geschickt und delikat, den Tänzer heizt er rythmisch kräftig ein.

Doch so einfallsreich und hoch-komisch die Reise-Stationen ausfallen, so kunter-bunt kostümiert die einzelnen Szenen auch ausfallen, zu einem überzeugenden Ganzen fügt sich das raffinierte Puzzel-Spiel kaum. Bernstein hat zwar ein paar mitreißende Musik-Nummern erfunden, aber dazwischen auch viel heiße Theaterluft frei-gelassen. Die ironischen Zuspitzungen und absurden Übertreibungen des Stücks mögen in den 1950er Jahren noch als kleine Provokation empfunden worden sein, heute dagegen schmeckt der alte Witz leicht abgehangen und fade. Wahrscheinlich haben Bernstein und seine Mit- Autoren das schon selbst empfunden oder geahnt – die vielen Umbearbeitungen und Neufassungen des „Candide“ sind dafür ein Beleg. (Die Komische Oper spielt eine neue Übertragung in deutscher Sprache von Martin G.Berger, 2017).

Fazit: auch Barrie Kosky vermag  – trotz aller szenischen Phantasie –  nicht, die ironische Groteske  in ein komödiantisches  Meister-Musical zu verzaubern.

Premiere: 24.November 2018

Opulent: ‚L´Incoronazione di Poppea‘ in der Staatsoper****

27. November 2018Allgemein

Wiederaufnahme von Claudio Monteverdis letzter Oper (Venedig 1643) anläßlich der Barocktage 2018 in der Staatsoper – teiweise in neuer Besetzung. Die Produktion entstand im letzten Dezember zur Wiedereröffnung des umgebauten und renovierten Operhauses unter den Linden.

Der italienische Dirigent Diego Fasolis hat dafür eine neue Fassung erstellt, die auch Musik anderer Komponisten wie Francesco Cavalli oder Johann Rosenmüller einbezieht und für ein großes Orchester-Ensemble mit vielen historischen Instrumenten erweitert wird.  Der Klang ist ebenso farbig wie differenziert, Rhythmus und Dynamik sind fein ausgewogen, das Sängerensemble wird in seinen oft schwierigen, koloratur-gespickten Partien bestens unterstützt. Auch wenn die vielen, raffinierten musikalischen Details für den Großteil des Publikum kaum nachvollziehbar sind, der Gesamteindruck bleibt mitreißend und prachtvoll.

Die Regisseurin Eva Maria Höckmayr hat einen großen goldenen Teppich ausgebreitet, von der Rampe über die Hinterbühne bis hoch hinauf in den „Himmel“. Auf dieser freien Fläche tummeln sich die Sänger den ganzen langen Abend hindurch, mal als Beobachter des Geschehens im Hintergrund, mal als handelnde Personen in der Mitte: eine Mischung aus aufgedrehter Comedia del* arte und  flotter Revue – eine leicht karikierende Theater-Show in tollen, ausladenden Fantasie-Barock-Kostümen von Julia Rösler. Doch die golden-glitzernde Oberfläche verdeckt über weite Strecken die Vielschichtigkeit und Schärfe von Monteverdis großem Werk. Das temporeiche, effektvolle Spektakel triumphiert über die menschliche Zwiespältigkeit und soziale Zerrissenheit in dieser vielschichtigen Oper.

In der jetzigen Vorstellungs-Serie ist Roberta Mameli eine schlank-attraktive Poppea, während Kangmin Justin Kim als Nero musikalisch perfekte Koloraturen hören läßt, darstellerisch aber sehr blaß bleibt. Bewährt und überzeugend: der Countre-Tenor Xavier Sabata als Poppeas Ex-Ehemann Ottone, die Mezzosopranistin Katharina Kammerloher als verlassene Königin Ottavia sowie  der Baß Franz Josef Selig in der Rolle des zum Selbstmord getriebenen Seneca (wenn auch als Figur etwas zu skuril charakterisiert).

Ungewöhnlich und apart in diesre Inszenierung ist das Aussparen der Götterfiguren, sattdessen singen und spielen Kinder (von Nero und Ottavia?) deren Partien. Und –  im heutigen „queeren“ Zeitalter –  trennt sich während des berühmten Schlußduetts das frisch verheiratete und gekrönte Paar: Poppea bleibt allein zurück während Nero sich entfernt –  in zärtlicher Umarmung mit seinem Freund …

Zurück zum Original: ‚La Bayadère‘ – Das Staats-Ballett in der Lindenoper****

11. November 2018Allgemein

Die zweiten Produktion des neu-formierte Berliner Staatsballetts (Intendant: Johannes Öhman) setzt ganz auf klassische Tradition. In der renovierten Lindenoper präsentiert das Ensemble die 1877 in St.Petersburg uraufgeführte „Bayadère“ des legendären Ballett-Schöpfers Marius Petipa. Der in New York lebende Russe Alexei Ratmansky(50), einer der renommiertesten Choreographen das amerikanischen „contempory ballet“ widmet sich seit einigen Jahren mit großer Leidenschaft der Rekonstruktion von klassischen Balletten, insbesondere den Werken von Marius Petipa. Denn im Laufe der Zeit haben sich Dramaturgie wie Bewegungen nicht nur im Detail, sondern auch in ihrem Gesamtbild  abgeschliffen. Ratmansky und sein Recherche-Team zeigen Petipas klassische Werke in „historisch-kritischen“ Neu-Ausgaben.

Diese „Rückkehr zu den Wurzeln“ gelingt bei der neuen „Bayadère“ in Berlin vortrefflich – auch wenn manche Kritiker oder Zuschauer zunächst über das Ergebnis etwas irritiert sind. So dominiert in den ersten beiden Akten der tragischen Liebesgeschichte zwischen der indischen Tempeltänzerin Nikia und dem bereits andersweit zwangs-verlobten Krieger Solor, über weite Strecken die Erzählform der Pantomime, die in bisherigen Aufführungen meistens weggelassen oder stark verkürzt wird, hier aber in ihrer vielfältigen Bewegungserfindung einen nicht nur  ungewöhnlichen sondern vorallem einen sehr starken poetischen Reiz entwickelt. Erst im zweiten Teil triumphiert dann der  „bekannte“ klassische Tanz, besonders im sogenannten „Schattenakt“, einem reinen „Ballet blanc“, sehr elegant und fließend vom 32 Tänzerinnen im weißen Tütü verlebendigt. Auch die Solisten (Achtung: drei wechselnde Besetzung!)  dürfen hier als „Schatten“ wie auch im dramatischen Schlußakt, einer Hochzeits-Zeremonie mit anschließend einstürtzenden Tempel, ihre große Kunst zeigen und  tänzerisch brillieren. In den ersten Vorstellungen: Polina Semionova als ebenso mädchenhaft-zarte wie energisch um ihre Liebe kämpfende Nikia, sowie Alejando Virelles als ihr Geliebter Solor, schwankend zwischen Gefühl und (tänzerisch nobler) Haltung.

Das große, bestens aufgelegte Ensemble (einschließlich junger Eleven) in vielen ausladenden Divertissements, malerisch-üppige, indisch gefärbte Bühnen-Panoramen, phantasievolle, farblich delikate Kostüme (Jèrome Kaplan) sowie die von der Staatskapelle unter Victorien Vanoosten schwungvoll gespielte Musik von Luwig Minkus (schlicht aber bühnen-bewährt) machen diese frisch rekonstruierte “ La Bayadère“ zum schönen Beispiel der klassischen Tanz-Kunst eines Marius Petipa – raffiniert im Detail, erfindungsreich in der Bewegung, effektvoll als großes Spektakel – ein ansprechendes und überaus lebendiges „Museum“!

Premiere: 4.November 2018

Frisch gestylt: ‚Viktoria und ihr Husar‘ – konzertant in der Komischen Oper****

17. Januar 2019Allgemein

Jedes Jahr zur Weihnachtszeit erinnert die Komische Oper an Operetten-Komponisten, die von den Nazis ins Exil gezwungen wurden. Deren mehr oder weniger erfolgreiche Werke werden als halbszenische Konzerte geboten – Orchester und Chor nehmen auf der dekorationslosen Bühne Platz, davor sitzen, singen, agieren oder tanzen die Solisten in Kostümen, die die Zeit der jeweiligen Operette andeuten.

Diesesmal galten die beiden Vorstellungen (23. und 30.Dezember 2018) dem ersten großen Erfolg des ungarischen Komponisten Paul Abraham: „Viktoria und ihr Husar“ von 1930. Eine echte Schnulze um die Liebes-Beziehung und -Verwicklung einer Adligen aus der Puszta zu einem feschen Husaren, vorwiegend in den diplomatischen Kreisen zwischen Japan,dem alten Russland und dem ungarischen Heimat-Dörfchen des Paares spielend und mit vielen bekannten Schlagern wie „Pardon, Madame“, „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände, Good Night“ oder „Mausi, süß warst Du heute Nacht“ garniert. Auf die gesprochenen Dialoge wird in der konzertanten Fassung der Komischen Oper verzichtet, der Schauspieler Gerd Wameling sorgt jedoch mit launigen Worten dafür, daß die simpel-sentimentale Handlung bis ins kleinste Detail auch in der hintersten Reihe nachvollzogen werden kann..

Köstlich, wie die Sänger der Komischen Oper mit leicht ironischem Witz ihre Songs, Duette und Ensembles sehr beweglich auf dem schmalen Raum zwischen Rampe und Orchester zur Wirkung bringen. Wobei in erster Linie die beiden Buffo-Paare für begeisterten Applaus im Publikum sorgen, was natürlich vor allem an der jazzigen Musik ihrer Nummern liegt, die allein schon durch ihr schnelles Tempo einfach mitreißen.

Stefan Soltesz ist ein idealer Dirigent für diese sogenannte Jazz-Operette, deren raffiniert instrmentierte Partitur weniger auf süß- sentimentalem Streicherklang als auf stark rhythmisierte Schlagzeug- und Blechbläser-Effekte setzt – schmissige Tanzmusik der späten 1920er Jahre.

Diese konzertante „Viktoria“ dauert knapp 100 pausenlose Minuten –  und wird dank ihrer flotten Darbietung zur charmanten Operetten-Ausgrabung: mit Witz und Ironie und ohne jede tiefere Bedeutung.

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