Getanzter Mythos: Sasha Waltz inszeniert „Medea“ in der Staatsoper unter den Linden ***

mmedea.jpgZu Beginn der pausenlosen,knapp 80 Minuten langen Oper faellt der rote Vorhang krachend in den Orchestergraben. Auf der leeren,dunklen, nur schwach beleuchteten Buehne rollen Taenzer aus dem Hintergrund an die Rampe, bilden – auf dem Boden – erst eine Linie, dann einen Kreis. Ein intensiv summender Ton wie von einer laufenden Maschine irritiert, bis aus der Mitte der 15 Taenzer (schlichte,aber raffiniert geschnittene Kostueme in schwarzen und erdfarbeben Toenen) sich eine weibliche Gestalt im langen,aermellosen Kleid mit weisser Halskette erhebt: Medea (hoheitsvoll:die Koloratur-Sopranistin Caroline Stein). Sie erinnert sich in hohen Toenen an ihre Vergangenheit, rekapituliert,befragt ihr Gedaechnis. Den Mord an ihrem Bruder, die Flucht mit Jason, seine Hochzeit mit der korinthischen Koenigstochter. Sie singt, sie spricht, sie stoesst spitze Ton-Schreie in hoechster Lage aus. Ein Orchester auf historischen Instrumenten, die Akademie fuer Alte Musik unter Marcus Creed, begleitet, unterstuetzt Medeas Gesang durch wispernde, grummelnde Klangflaechen. Die Taenzer agieren um Medea herum, kommentieren eher die Ereignisse als sie zu illustieren. Ihre Bewegungen gleichen denen auf antiken Friesen, bleiben ueberwiegend abstrakt, wirken aber mitunter sehr kunstgewerblich. Manchmal nuetzt Sasha Waltz die Pausen der Musik ( Pasqual Dusapin’s 1992 uraufgefuehrte Oper „Medeamaterial“ auf den Text von Heiner Mueller), um verblueffende Theater-Effekte einzubauen wie etwa den durch maechtige Windmaschinen erzeugten, ohrenbetaeubenden Sturm. Manchmal nehmen die Taenzergruppen die Handlung vorweg, manchmal agieren sie fast ohne Bezug zu ihr. Am Ende, nach dem gleichsam zaertlichen, durch einen Kuss vollzogenen Mord an den beiden Kindern, verdaemmert Medeas Erinnerung, versickern Musik und Buehne im Dunkeln. Ausgeloeschte Vergangenheit als Weg in eine Zukunft ? Die Frage bleibt offen, wie manche an diesem sproeden Abend: klug durchdachtes, aber theatralisch nur gelegentlich  mitreissendes Musiktheater.

Foto:Sebastian Bolesch