Eingedampft und verdichtet: „Die Ratten“ im Deutschen Theater *****

ratten.jpgRegisseur Michael Thalheimer hat – wie bei ihm ueblich – Gerhart Hauptmann’s Berliner Tragikomoedie von 1911 stark gekuerzt und auf die wesentlichen Passagen konzentriert. Die pausenlose Auffuehrung dauert knapp 100 Minuten. Die Buehne gleicht einem waagrechten Schlitz, dahinter ein tiefer, aber sehr niedriger, kahler Raum, in dem die Dartseller sich nur geduckt und mit eingezogenem Kopf bewegen koennen. Im Hintergrund sind staendig alle Personen praesent, kommen nur zu ihren Szenen vor an die Rampe. Allen Naturalismus, allen Mietskasernen- und Wohnkuechenmief hat Thalheimer dem Stueck ausgetrieben, zeigt dafuer die Personen geradezu nackt und roh, verzweifelt in ihrer Qual und Laecherlichkeit. Der fehlgeleitete Mutterinstinkt der Frau John, die wuetende Hilflosigkeit ihres Mannes, die aufgeblasene Laecherlichkeit des Theaterdirektors Hassenreuther – alle sind sie  Gefangene in ihrem Selbst, ohne jede Moeglichkeit, sich daraus zu befreien. All dies wird nur durch die oft boesen, harten Dialoge sowie durch eine zeichehafte, expressive Gestik charakterisiert. Durch diesen Verzicht auf alles Atmosphaerische gewinnt das alte Stueck neue und aktuelle Dimensionen, macht aus Hauptmann’s Mitleids-Figuren lebenspralle Menschen, gleichsam aus dem Prekariat von heute. Ein aufregender und spannender Abend, getragen von einem bis in die kleinste Nebenrolle hervorragenden Ensemble, darunter Constanze Becker (Frau John), Regine Zimmermann (Piperkarcka), Sven Lehmann (John) und Horst Lebinsky (Hassenreuther). Thalheimers – in manchen Inszenierungen  maniriert wirkende – Regie-Methode sitzt bei diesen „Ratten“ passgenau und erhellend.

Foto: Deutsches Theater