Im Wuerge-Griff: „Half Nelson“ von Ryan Fleck****

halfnelson_poster_00.jpgDer schon 2006 in den USA entstandene, aber erst jetzt bei uns angelaufene Independent-Film erzaehlt von einem jungen, politisch engagierten Lehrer weisser Hautfarbe in einer Grund-Schule in Brooklyn, die fast ausschliesslich von Farbigen besucht wird. Die lockere, undogmatische Unterrichtsweise ueber amerikanische Geschichte sichert diesem Dan Dunne Aufmerksamkeit und Sympathie seiner Schueler, aber auch die kritische Beobachtung der schwarzen Direktorin. Dan’s Pferdefuss: er nimmt Drogen, vor allem Crack. Damit erhaelt er sich seine Spannkraft im harten Alltag als Lehrer und in seiner Freizeit als flotter Single. Eines Tages wird er von einer 13-jaehrigen (schwarzen) Schuelerin namens Drey bei einem Drogen-Kollaps in der Sport-Umkleidekabine entdeckt. Sie hilft ihm, verraet ihn aber nicht. Daraus entsteht eine Beziehung  zwischen den beiden, ohne sexuelle Komponente, die zu einigen merkwuerdigen Ereignissen fuehrt: sie bewundert seine Souveraenitaet, er versucht, sie vor einem Leben in Abhaenigkeit von Armut und Drogen zu schuetzen. Beide geraten dabei an Grenzen; sie laesst sich als Drogenkurierin von einem Freund ihrer Familie anheuern, er muss in einer Auseinandersetzung mit eben diesem Freund sein anmassendes Verhalten als Weisser gegenueber Schwarzen erkennen. Dennoch endet der Film mit einem hoffnungsvollen Bild: nach einem weiteren Absturz, zu dem auch ein Besuch bei seiner leicht rassistischen Familie beigetragen hat, sitzt Dan – in einer filmischen Ellipse – auf dem Sofa seiner frisch aufgeraeumten Wohnung, in der anderen Ecke nimmt froehlich Drey Platz.
„Half Nelson“ ist ein Begriff aus dem Wrestling und bedeutet eine Art „Schwitzkasten“. Genauso befindet sich Dan in der Klemme zwischen seinem idealistischen Auftreten als Lehrer, der Schwierigkeit, seine von politischer Aufklaerung gepraegten (leicht linken) Absichten durchzusetzen und der oft ernuechternden Situation seines privaten Lebens, nicht von den Drogen loszukommen. Es gibt in diesem Film keine guten oder boesen Figuren, alle Personen haben gute wie weniger gute Seiten – Luege, Betrug, miese Geschaefte oder faule Kompromisse gehoeren zum Leben ebenso, wie gleichzeitig Mitmenschlichkeit, Solidaritaet und Sympathie. Und die grossartigen Darsteller – beonders Ryan Gosling als Dan und die junge  Shareeka Epps als Drey – beglaubigen ihre Figuren ebenso wie die zahlreichen Schauspieler der Nebenrollen. Dem debuetierenden Regisseur Ryan Fleck und seiner Mitarbeiterin Anna Boden ist ein kleines Meisterwerk gelungen, ein Film, der den Zuschauer unmittelbar emotional anspricht, der optisch raffiniert inszeniert ist und der ohne dramaturgische Klischees auskommt.  Kurz: unspektakulaer und zugleich sehr menschlich.

Foto/Verleih: Arsenal