Ungeschminkt und brutal: „Gomorrah – eine Reise in das Reich der Camorra“ von Matteo Garrone****

gomorrha_scene_10_bb.jpgSelten wurde in einem Spielfilm die Umgebung von Neapel so schaebig und trostlos gezeigt. Riesige, heruntergekommene Beton-Wohnsilos, oede, flache Landschaften mit nackten Steinbruechen oder sumpfigen Fluessen. Hier herrschen Chaos und Gewalt: das Reich der Verbrecher-Clans der Camorra. Fuenf Geschichten verwebt Regisseur Matteo Garrone (nach dem aktuellen Bestseller von Roberto Saviano) zu einem proletarischen Gesellschafts-Panorama, einem Teufelskreis aus Brutalitaet und Unterdrueckung, dem kaum einer entkommen kann. Ein Junge, dessen Ziel es ist, innerhalb eines Clans aufzusteigen; zwei etwas dumme Maenner, die glauben ausserhalb dieser Clans ihre verbrecherischen Spiele betreiben zu koennen; ein Unternehmer, der fuer viel Schmiergeld giftigen Muell illegal vergraben laesst; ein Schneidermeister, der heimlich die chinesische Billigkonkurrenz bedient; ein aelterer Mann, der Geld an Angehoerige ehemaliger Camorra-Mitglieder verteilt. Sie alle verstricken sich im gnadenlosen Freund-Feind-Spiel, bei dem es nur die Moeglichkeit gibt, mitzumachen oder umgelegt zu werden. Der Film zeigt so die innere Struktur und das Milieu, in dem die Verbrechen der Camorra entstehen koennen, und die den Opfern keinen Ausweg aus ihrem Leben lassen. Kuehl und distanziert beschreibt der Regisseur die kriminellen Vorgaenge, aller Glamour, den etwa Gangster-Filme aus Hollywood ausstrahlen, fehlt (bis auf einige etwas theaterhaft inszenierte Szenen). Auch die Bosse entpuppen sich nur als feiste alte Maenner, spiessige Brutalos in haesslichen Badeshorts, verbrecherische Kleinbuerger.
Die Zusammenhaenge mit Politik und Justiz, Korruption und Verquickung mit ausser-neapolitanischen Organisationen spielen in diesem Film keine Rolle, nur indirekt wird Kritik geuebt: dadurch dass solche verkommenen Zustaende wie in Neapel offensichtlich moeglich sind und geduldet werden. Insofern enthuellt der klug-gestaltete Film zwar nichts Neues ueber die Camorra, aber er weist mit zornigem Finger auf eine Wunde der italienischen Gesellschaft: das Bild der heruntergekommenen Slums von Neapel wird im Gedaechtnis haften bleiben.

Foto/Verleih: Prokino