In der Gross-Familie: „Couscous miT Fisch“ von Abdellatif Kechiche****

lagraineetlemulet_scene_01.jpgSlimane, Franzose tunesischer Herkunft, schuftet seit 35 Jahren als Schiffsarbeiter im Hafen von Sete, einer kleinen Stadt, die kaum grosse Zukunft hat, vielleicht allenfalls als Yachthafen. Kurz vor seinem Renteneintritt wird er entlassen und erhaelt lediglich eine karge Abfindung. Doch der hagere, verschlossenen Mann gibt nicht auf: auf einem alten Kahn will er ein Couscous-Restaurant eroeffnen. Angefeuert wird er dabei von Rym, der etwa 16jaehrigen, resoluten Tochter seiner Lebensgefaehrtin (und Besitzerin eines kleinen Hotels) Karima. Der Trick von Slimanes Restaurant-Traum ist der, dass seine Ex-Frau und die zahlreichen Soehne, Toechter und Enkelkinder in Kueche und Service mit einbezogen werden. Denn Ex-Frau und Mama Souad kocht noch jeden Sonntag exzellenten Couscous mit Fisch, zu dem sich fast die gesamte Familie einfindet und dabei lustvoll schmutzige Waesche waescht, Familienprobleme oder Intimitaeten beschwatzt. Doch nach einem missglueckten Probe-Abend, zu dem vor allem die Vertreter der verschiedenen Behoerden und Kreditgeber eingeladen werden, platzt Slimanes Traum. In einer langen, eindrucksvollen Montage sieht man die junge Rym, die die aufs Essen wartenden Gaeste mit einem flotten Bauchtanz zu unterhalten versucht, waehrend – als Parallel-Sequenz – Slimane durch die naechtlich- leeren Strassen hetzt, auf der Suche nach dem verschwundenen Couscous und nach seinem geklauten Moped. Die letzte Einnstellung zeigt wie er zusammenbricht.
Der mit grossem Erfolg in Frankreich aufgefuehrten Film ist aber kein duesteres Sozial-Drama, obwohl die Arbeits- und Lebens-Probleme der einfachen Leute, vor allem der „Beurs“ (Franzosen mit nordafrikanischen Hintergrund), ganz realistisch und ohne Beschoenigung gezeigt werden. Doch der Reiz liegt in der breitangelegten, gelegentlich ausschweifenden Schilderung der Gross-Familie und ihrer Rituale, vor allem aber in der direkten unverstellten Lebendigkeit dieser Personen in all ihren unterschiedlichen und schwankenden Gefuehls-Situationen. Der franzoesische Original-Titel spielt darauf an: „La graine et le mulet“ (Der Samen und das Maultier)- ein bildliches Symbol fuer Jugend, Aufbruch,Zukunftstraeume einerseits und das sture Im-Kreis-Laufen ohne Perspektive, fuer  Alter und Unbeweglichkeit andererseits. Ein streng-komponierter Film, ohne Ruecksicht auf Seh-Gewohnheiten im gegenwaertigen Action-Kino (Laenge: 151 Minuten); ein Film, der sich auf seine Figuren einlaesst, oft lange ihren Reden zuhoert oder sie auch bei kleinen Nebenhandlungen begleitet – wie beispielsweise die Mutter, die – aus menschlicher Solidaritaet – einen Teller des frischen Couscous einem armen Bettler bringt; ein Film zwischen Realismus und Metapher, ein kritischer, teils auch bedrueckender Film, der aber trotzdem das Leben feiert.

Foto/Verleih: Arsenal