Fehltritt auf schwarzem Parkett: „La Traviata“ in der Komischen Oper ***

traviata2.jpgVioletta Valery (La Traviata) ist in der Neuproduktion von Verdis populaerer Oper keine historische Figur, sondern eine moderne, junge Frau: energisch und sehr selbstbewusst. Sie ist nicht nur Prostituierte, sondern auch Zuhaelter zugleich – ein geschmeidiger Juengling mit griffbereitem Messer agiert stumm neben ihr – gleichsam als zweites Ich. Die ganze Geschichte  wird aus Violettas Sicht erzaehlt – auch ihre gesamte Umgebung sieht man aus dieser Perspektive: die grotesken, fast clownsartig ausstaffierten Freunde, die roboter-gleiche Gesellschaft in Plastik-Kleidern oder schwarzen Maenteln – Maenner und Frauen immer in getrennten Formationen. Das Herz wird Violettas maennlichem Schattenbild brutal aus dem Koerper gerissen, um dann von dem jungenhaft-blonden Alfred und seinem Rivalen mit langen Nadeln zerstochen zu werden. Am Ende liegt die Lebensgierige in einem sarggleichen Bettkasten, doch rafft sie sich noch einmal auf, streifft sich ein blassrosa-schimmerndes Ballkleid ueber, und bricht dann in einer letzten Gluecks-Exstase an der Rampe endgueltig zusammen.
Regisseur Hans Neuenfels zeigt eine sehr eigenwillige Deutung der „Traviata“, durchsetzt mit surrealen Zeichen und Bildern. Doch das Konzept geht nur in einzelnen Teilen auf, bleibt oft in ueberdeutlichen oder platten Symbolen stecken (die schwangeren Braeute, der Pferdefuss des Vaters), zeigt mehr die Oberflaeche der Figuren, weniger ihre seelische Tiefe. Dennoch gelingen Neuenfels packende Szenen, so die Auseinandersetzung Violettas mit dem religioes-fanatischen Vater im zweiten Akt oder der in einem wilden Taumel gesteigerte Tod mit magisch aufstrahlendem Licht. Dass diese „Traviata“ im Vergleich mit Neuemfels‘ Verdi-Inszenierungen an der Deutschen Oper insgesamt eher blass ausfaellt, geht aber auch auf das Konto der schwachen musikalischen Leistungen des Abends. Der neue Chefdirigent Carl St.Clair zerhackt die Partitur laufend durch stoerende Generalpausen, findet nie den angemessenen Fluss, laesst das Orchester viel zu laut droehnen, grobschlaechtig und ohne Eleganz. Die Irin Sinead Mulhern (Violetta) ist darstellerisch beeindruckend, stimmlich jedoch gibt es Einschraenkungen: besonders die Hoehen klingen oft flach oder schrill. Der Englaender Timothy Richards (Alfredo) punktet mit einem hellen, festen Tenor, aber ohne Belanto-Geschmeidigkeit, und der noch junge griechische Saenger Aris Agiris (Vater Germont) laesst zwar einen kraeftigen Bariton hoeren, bleibt im Ausdruck aber recht farblos. Ein weiteres, gravierendes Manko, das alle Saenger betrifft, ist mangelnde Artikulation. Vom gesungenen Text versteht man kaum einen Satz. Die stolz verkuendete Maxime des Hauses, der Wortverstaendlichkeit wegen nur in deutscher Sprache zu singen, erweist sich (wie leider schon oefters) als leere Behauptung. Nicht nur Violetta scheint vom Weg abgekommen…

Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper