Kampfplatz Schule: „Die Klasse“ von Laurent Cantet ****

Alltag in einer Pariser (Mittel-)Schule in einem sogenannten Problembezirk.. Francois Marin ist Leiter einer Klasse von 14- bis 15jaehrigen Schuelern, ueberwiegend mit arabischem oder afrikanischem Hintergrund. Der Film beginnt mit dem neuen Schuljahr im Herbst und endet mit den Sommerferien im Jahr darauf. Dazwischen ausschliesslich Nahaufnahmen aus dem Lehrerzimmer, dem Schuhof und vor allem aus Francois’s Klasse. Der taegliche Kampf des Lehrers um Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft, die unterschiedlichen, oft provokanten Reaktionen der Schueler -  von innerer Ablehnung und Langeweile bis zur streberhaften Unterwuerfigkeit. Dabei wird kein duesteres schwarz-weiss Bild entworfen, sondern Lehrer wie Schueler als sich gegenseitig akzeptierende, aber kritische Partner gezeigt. Warum waehlt Francois in Beispiel-Saetzen immer nur den (weissen) Namen „Bill“ und nicht „Aissata“ oder „Rachid“ ? Warum muss man den „Konjunktiv in seiner Vergangenheitsform“ kennen, wenn doch niemand mehr im Alltag so redet?
Aus den etwa 20 Schuelern heben sich vor allem drei heraus: Souleymane, der kaum mitarbeiten will und spaeter die Schule verlassen muss; Khoumba, die sich in einem ruehrenden Brief ueber den mangelnden Respekt des Lehrers ihr gegenueber beklagt, und Esmeralda, die mit frechem Witz provoziert und am Schluss triumphierend erzaehlt, zu Hause Platon’s „Staat“ zu lesen. Auch Francois macht trotz seiner geduldigen Bemuehungen um das Interesse seiner Schueler gelegentlich Fehler, indem er beispielsweise die beiden Klassenvertreterinen, als er sich ueber sie aergert, mit „Schlampen“ vergleicht.
Der Film (der auf einem populaeren Tatsachen-Buch beruht) konzentriert sich ausschliesslich auf das Geschehen in der Schule (Originaltitel „Entre les murs“) – was ausserhalb passiert, erfaehrt man allenfalls in Berichten einzelner Schueler oder einmal in einer Elternsprechstunde. Es wird – und das ist das Kluge dieses Films – nie direkt Partei ergriffen, sondern nur beobachtet. Eine gespielte Dokumentation, aber ohne Wertung und ohne dass der Zuschauer erfaehrt, was „wahr“, was „gelogen“ ist. Hier liegt allerdings auch eine offenen Frage an den Regisseur: was hat er von seiner vorgegebenen „Geschichte“ gezeigt, was hat er weggelassen? Nach welchen (aesthetischen oder paedagogischen) Vorgaben hat er den Film montiert? Doch gerade diese Offenheit , das nicht bis in alle Einzelheiten Geklaerte, macht den Reiz und die Lebendigkeit dieses spannenden Einblicks in den heutigen Schul-Alltag aus.

Foto/Verleih: Concorde

zu sehen: Babylon Kreuzberg (OmU); Hackesche Hoefe (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Kulturbrauerei; Broadway u.a.