Oppulentes Musiktheater ohne Hits: „Marie-Victoire“ in der Deutschen Oper **

Berliner Erstauffuehrung einer unbekannten Oper des italienischen Komponisten Ottorino Respighi (1879 – 1936), geschrieben in den Jahren 1912/13,  aber erstmals 2004 in Rom aufgefuehrt.
Es ist ein Liebes- und Ehedrama vor dem Hintergrund der franzoesischen Revolution. Die Adlige Marie de Lanjallay wird denunziert und verbringt die letzte Nacht vor ihrer Hinrichtung zusammen mit dem Freund ihres verschollenen, totgeglaubten Ehemanns im Gefaengnis. In ihrer Angst und Verzweiflung erliegt sie den Verfuehrungen des jungen Mannes. Doch am naechsten Morgen ist Robespierre tot und alle Verurteilten sind frei.
Sechs Jahre spaeter. Marie hat den Hutsalon „Marie Victoire“ in Paris eroeffnet, um sich und ihrem kleinen Sohn – Zeugniss ihrer Schwaeche im Gefaengnis – den Lebensunterhalt zu sichern. Da erscheinen ploetzlich gleichzeitig der einstige Kurz-Liebhaber und der vermisste Ehemann in Maries Geschaeft : es kommt zu dramatischen Szenen zwischen der treuen Marie, dem gedemuetigten Liebhaber – einem bekennendem Royalisten – und dem eifersuechtigen Ehemann. Doch am Ende triumphiert in einer breit ausgespielten Gerichts-Szene der adlige Edelmut.
Urspruenglich ein franzoesisches Schauspiel von Edmond Guiraud, liess Respighi sich die Geschichte vom Autor selbst in ein Opernlibretto umgestalten. Doch ein packendes Buehnenwerk ist nicht entstanden: Respighi komponierte zwar eine klangpraechtig aufrauschende Partitur, jedoch ohne praegnante Arien oder Ensembles fuer die Saenger. Alles Geschehen, alle Psychologie vollzieht sich ausschliesslich im Orchester, die Saenger duerfen nur – wenn auch sehr melodioes – deklamieren. Auch die effektvoll auftrumphenden Akt-Finali machen aus dieser Orchester-Oper kein dramatisches Musiktheater – es bleibt ein langatmig ausgepinselter Ruehr-Schmarren (Dauer fast vier Stunden!), gebettet auf einer sehr schoenen, farbenreichen Musik.
Die Auffuehrung der Deutschen Oper unterstreicht – unfreiwillig? – Staerke und Schwaechen dieses vergessenen Werkes. Die konventionelle Inszenierung (Johannes Schaaf) in Papp-Gemaeuer-Kulissen, Rokoko-Peruecken und Reifrock geraet allzu bieder und brav, waehrend Michail Jurowski – ganz Kapellmeister alter Schule – das Orchester der Deutschen Oper praechtig aufbluehen laesst: ekklektische Spaetromantik, gemischt mit einem Schuss Jugenstil, ein wahres Fest oszillierender Toene.
Aus dem grossen Chor- und Solisten-Ensemble beeindruckt -  neben Markus Brueck als Ehemann und Stephen Bronk als treuem Diener -  vor allem die dunkelhaeutige Takesha Meshe Kizart : mit fruchtigem Timbre und leuchtender Hoehe gelingt ihr ein ueberzeugendes und anruehrendes Portraet der schuldig-unschuldigen Adligen Marie.
Fazit: eine rein konzertante Begegnung mit „Marie-Victoire“ waere sicherlich sinnvoller und erfolgreicher gewesen. Vielleicht auch preiswerter.

Foto: Barbara Aumueller/Deutsche Oper