Schwarzes Ballett-Grusical: „Schneewittchen“ in der Deutschen Oper ***

Kein romantisch-kitschiges Kinder-Ballett, sondern ein duester-boeses Tanz-Drama fuer Erwachsene:  der brutale Konkurrenz-Kampf um weibliche Schoenheit und erotische Attraktivitaet zwischen alternder Stiefmutter und jugendlicher Tochter. So zumindest interpretiert der franzoesische Choreograph Angelin Preljocaj das populaere Maerchen der Gebrueder Grimm.
Duester ist schon der Beginn:  die hochschwangere Mutter Schneewittchens stirbt, doch das Kind wird vom koeniglichen Vater gerettet und in mattgold glaenzenden Schloss zur jungen Schoenheit erzogen  – bis zur Verlobung mit einem huebschen Prinzen. Die boese Stiefmutter in Lack und Leder will jedoch Schneewittchen toeten lassen, entsetzt flieht es in den Wald und gelangt zu den sieben Zwergen, die an einer steilen Felsenwand in eleganten Formationen hoch und nieder klettern: moderne Bergarbeiter mit Lichtlein auf dem Helm. Doch auch in dieser zeitgenoessischen Fantasy-Fassung bleibt die Moral der Geschicht die alte:  am Ende muss sich die boese Stiefmutter in gluehend-roten Pantoffeln furios zu Tode tanzen.
Als Musik benutzt Preljocaj einen Mix aus Symphonien von Gustav Mahler (eingespielt vom Tontraeger) : verrutsche Walzer und schraege Volkslieder wechseln mit ausladend- lyrischen Stuecken wie dem beruehmte Adagietto (aus der 5.Symphonie) zum grossen, zweimal getanzten Pas-de-deux der Liebenden. Eine geschickte Wahl, die den fahlen, gespentischen Natur-Ton des Ballett-Maerchens  bestens unterstuetzt.
Nicht ganz so gluecklich ist die Choreographie selbst, auch wenn sie geschickterweise alles Erzaehlend-Pantominische weitgehend vermeidet. Der Tanz bleibt oft der reinen Virtuositaet, dem effektvollen Kunst-Stueck verhaftet – der tiefere, der seelische Ausdruck vermittelt sich in dieser Bewegungs-Sprache kaum. Gelegentlich fuehren Wiederholungen zu choreographischen Laengen, obwohl der pausenlose Abend nur knapp 2 Stunden dauert.
Doch das flotteTempo und die verblueffenden Bild-Erfindungen lassen solche Einwaende in den Hintergrund treten, zumal die phantastisch-bizarren Kostueme des Modeschoepfers Jean Paul Gaultier eine wahre Augenweide sind (leider bei der sehr dunkel ausgeleuchteten Buehne nicht immer deutlich zu erkennen). Und das Ensemble des Staatsballetts zeigt sich in Hochform – sowohl das glaenzend aufgelegte Gruppen-Ensemble wie die vorzueglichen Solisten – auch wenn diesmal nicht die Super-Stars der Malakhov-Kompanie praesentiert werden. Elisa Carillo Cabrera als elegant-biegsames Schneewittchen und Leonard Jakovina als fescher Prinz im Torero-Kostuem bilden ein anmutiges Paar und Beatrice Knop pfeffert eine mitreissend daemonische Stiefmutter auf die meist duester-leere Tanz-Buehne (von Thierry Leproust).
Eine attraktive Ergaenzung im Repertoire des Staatsballetts: rabenschwarz und sexy.

Foto: Staatsballett / Enrico Nawrath