Eigenwillig, aber spannend: „Die Entfuehrung aus dem Serail“ in der Staatsoper ****

Ein dunkler Buehnenkasten – auf halber Hoehe horizontal geteilt:  oben der ganz in Weiss gekleidete Bassa Selim (Sven Lehmann) und seine Gefangene Konstanze (Christine Schaefer), ebenfalls in einem eleganten weissen Gewand. Unten treibt Osmin (Maurizio Muraro), eine Art Hausmeister in Trainingshosen und mit blutroten Handflaechen, sein grobes Spitzel- und Bewachungsgeschaeft. Oder er geht brutal dem hier schwarzhaarigen Blondchen (Anna Prohaska), einer frechen Goere im pinkfarbenen Babydoll, an die Waesche. Kein heiteres Lustspiel in einem bilderbuch-bunten Orient, sondern eine eher heutige, duestere menschliche Tragoedie. Die Paare finden kaum zueinander: der blonde Belmonte (Pavol Breslik) sieht seiner Konstanze nur selten in die Augen, diese wiederum demuetigt mit ihren scharfen Koloraturen (in der beruehmten Martern-Arie) den sich auf dem Boden kruemmenden Bassa. Pedrillo (Florian Hoffmann) ist ein schmaechtiger Rotschopf in schwarzen, kurzen Hosen, aufsaessig zwar, aber machtlos. Am Schluss bruellt der Bassa seine grossmuetige Begnadigung den vier Gefangenen frustiert ins Gesicht, bevor er tuerenknallend durch den Zuschauersaal verschwindet. Die beiden Paare stehen verwirrt und ratlos vor den geschlossenen Proszeniumslogen, waehrend in der Buehnenmitte der Chor als schwarz-dunkle Masse sein Loblied auf den Bassa lautstark intoniert.
Regisseur Michael Talheimer, der die gesprochenen Dialoge sehr geschickt auf das Wichtigste reduziert hat, deutet Mozarts deutsches Singspiel streng-pessimistisch. Nicht nur die Paare finden innerlich kaum zueinander, fast alle Beziehungen sind gestoert – besonders wenn sie wie hier in einer Fremde spielen, die keinerlei exotischen Reiz besitzt, sondern ausschliesslich als abzuwehrende Bedrohung erscheint.
Man muss diese Interpretation von Michael Talheimer nicht teilen, doch die klare, aesthetisch hochsensible Inszenierung,  die sparsam-raffinierte Choreographie der Personen in den weiten, leeren Raeumen (Buehne: Olaf Altmann)  ergeben einen ebenso beeindruckenden wie spannenden Theaterabend.
Dirigent Philippe Jordan und die Staatskapelle untersteichen mit zupackend-dramatischem Gestus auch musikalisch die herbe Lesart dieser „Entfuehrung“ und die Saengerdarsteller erfuellen ihre Rollen durchweg sehr ueberzeugend,  kleinere gesangliche Einwaende eingeschlossen.
Dennoch: etwas einseitig und gelegentlich ueberzogen bleibt Talheimers Mozart – aber immer auf hohem und anregendem Niveau.

Foto:Monika Rittershaus/Deutsche Staatsoper