Wohltoenender Historienschinken: „Simon Boccanegra“ in der Staatsoper ***

Champagner-Stimmung unter den Linden:  eine grosse Verdi-Oper, dirigiert von Daniel Barenboim und mit Super-Star Placido Domingo in der Titelrolle – das heisst hoechste Attraktivitaet fuers Berliner Publikum -  dementsprechend sind bereits alle folgenden Vorstellungen ausverkauft – und das zu (fuer Berliner Veraeltnisse) hohen Preisen.
Doch am Ende der dreistuendigen Premiere macht sich leise Entaeuschung breit: zwar bekommt Domingo, der hier erstmals im Bariton-Fach debutiert, die verdienten „standing ovations“, werden auch die uebrigen Saenger und Maestro Barenboim reichlich mit Bravi eingedeckt -  das italienische Regieteam jedoch muss kraeftige und andauernde Buh-Stuerme ueber sich ergehen lassen.
Nun ist Verdi’s „Simon Boccanegra“ kein theatralischer Selbstlaeufer wie „Trovatore“ oder „Traviata“, sondern ein sehr komplexes, in die (musikalische) Zukunft weisendes Musikdrama. Eine Vater-Tochter-Geschichte vor zeit-historschem Hintergrund, menschlich beruehrend, politisch sehr pessimistisch. Der plebeiische Simon Boccanegra wird im 14.Jahrhundert vom Volk zum Dogen von Genua bestimmt, doch seine Bemuehungen um Aussoehnung der Klassen scheitert ebenso wie seine Liebe zu einer Adligen.
Der italienische Regisseur Federico Tiezzi arrangiert das Geschehen als eine Abfolge historischer Bilder: finstere Mauern und goldenes Senats-Gestuehl vor stuermisch-dunkler (Video-)Meeres-Gischt. Elegant-farbige Kostueme im Stil des spaeten 19.Jahrhunderts, allerlei theater- und kunsthistorische Anspielungen – aber ohne jede Personenfuehrung. Dafuer Stand- und Spielbeinwechsel, pathetisch erhobene Arme. Bieder-langweilige Konvention, ohne Sinn fuer die intellektuelle Brisanz der Oper..
Die Saenger konzentrieren sich deshalb ganz auf den stimmlichen Ausdruck – allen voran der bewundernswurdige, fast 70-jaehrige Placido Domingo. Mag manche Intonation nicht ganz rein sein, einige Toene nicht ganz sauber – Domingo gestaltet saengerisch und darstellerisch einen hoechst glaubwurdigen Boccanegra von enormer Buehnenpraesenz, strahlend in der Hoehe, satt in der Tiefe – eine exzellente Leistung. Neben ihm ein vorzuegliches Solistenensemble: Anja Harteros als wiedergefundene Tochter Amelia (staehlerne Hoehen, wunderbare Mittellage), Kwangchul Youn als finsterer Gegenspieler Fiesco (mit profundem Bass), Fabio Sartori in der Rolle von Amelias Liebhabers Gabriele Adorno (kraftvoller Tenor, aber aeusserlich sehr un-attraktiv) sowie Hanno Mueller-Brachmann als gift-mordender Schurke Paolo (mit sattem Timbre).
Daniel Barenboim leitet die klangschoen spielende Staatskapelle vorzueglich, grundierte die Partitur mit dunkel-gluehenden Farben und verbindet einducksvoll die intim-psychologischen Momente mit den machtvoll-ausladenden Chorszenen (auch wenn am Premierenabend manches zu laut ausfaellt).
Ein grosser – wenn auch kein aufregender – Abend in der Staatsoper, leider nur musikalisch.

Foto: Staatsoper/Monika Rittershaus