Putzfrau und Kuenstlerin: „Seraphine“ von Martin Provost ****

Kurz vor dem 1.Weltkrieg bezieht der in Paris lebende, deutsche Galerist Wilhelm Uhde eine Wohnung im laendlichen Senlis, um sich hier in Ruhe seiner kunst-schrifstellerischen Arbeit widmen zu koennen. Sehr bald entdeckt er, dass seine Zugehfrau, die etwas unwirsche, aeltere Seraphine Louis, heimlich Still-Leben malt. Uhde ist beeindruckt von dieser „primitiven“ oder „naiven Kunst“, wie er die Bilder Seraphine’s bezeichnet. Er bestaerkt die ungebildete Frau in ihrem kuenstlerischen Tun, dabei unterstuetzt von seiner Schwester Anne-Marie, die ihn gelegentlich besucht und mit Neuigkeiten der Pariser Kunst-Szene versorgt. Doch der Ausbruch des Krieges zwingt Uhde zur Rueckkehr nach Deutschland. Erst 1927 trifft er, der inzwischen mit seinem Lebensgefaehrten im nicht weit entfernten Chantilly lebt, Seraphine wieder. Er foerdert sie mit Geld, das ihr die bis dahin ausgeuebte Taetigkeit als Dienst- und Putzmagd erspart und ein Dasein in bescheidenem Maass ermoeglicht. Und er verspricht ihr eine Ausstellung ihrer neuen, grossformatigen Bilder in Paris, muss dieses Vorhaben aber wegen der Weltwirtschaftskrise verschieben. Seraphine empfindet dies als „Verrat“, gibt die Malerei auf und fluechtet in eine Art religoesen Wahns. Sie landet in einer Irrenanstalt, wo sie einige Jahre spaeter stirbt.
Der Regisseur und Drehbuchautor Martin Provost konzentriert sich in seinem – 2008 mit 7 Cesars ausgezeichneten – Film ganz auf die Person Seraphine’s, alles andere wird nur angedeutet: die engstirnige Bourgeoisie in der franzoesischen Provinz, das harte Arbeitsleben der einfachen Leute,
die intellektuelle Kunstszene im fernen Paris. Provost zeigt diese Welt der Seraphine in kurzen, praechtig photographierten Tableaus, schneidet in rascher Szenenfolge aus Blicken und Gesten die Begegnung und Annaeherung von Seraphine und ihrem Foerderer Uhde, um sich dann  ganz der Figur Seraphine’s zu widmen: wie sie ihre Einsamkeit als Aussenseiterin der Gesellschaft durch
hingebungsvolles Malen, meist in der Nacht, kompensiert, wie sie sich ruppig von ihren Mitmenschen abwendet, dafuer sich aber ihren kuenstlerischen „Eingebungen“ – teils in der freien Natur – und ihren religioesen „Erleuchtungen“ hingibt.
Yolande Moreau spielt diese naive, intellektuell-schlichte, aber von ihrer Eigenwertigkeit voll ueberzeugte „Putzfrau und Malerin“ mit groesster Intensitaet. Aeusserlich von pummeliger Figur und als Frau eher unattraktiv, aber oft auch mit listigem Gesichtsausdruck und schlagfertig – eine inviduell-eigenwillige Persoenlichkeit, die auf Grund mangelnder Bildung die falsche Schluesse zieht ( in Bezug auf ihren Foerderer) und ihrem (religioesen) Wahn erliegt. Ein ueberragende schauspielerische Leistung.
Neben Yolande Moreau agieren Ulrich Tukur als Wilhelm Uhde, Anne Bennent als seine Schester sowie die uebrigen Darsteller sehr dezent und zurueckhaltend, beeindrucken aber als praezise Chargen.
Ein kluger Film in ruhigen Bildern und ein schoenes Plaedoyer fuer eine Frau, deren menschliches Schicksal einer filmischen Ehrenrettung wert ist, auch wenn sie als Kuenstlerin eher eine Randerscheinung der franzoesischen Kunstgeschichte bleiben wird.

Foto/Verleih: Arsenal

zu sehen: Cinema Paris dt.u.OmU; Eiszeit; Filmtheater am Friedrichshain