Juedischer Ungluecksrabe: „A Serious Man“ von Joel und Ethan Coen *****

USA 1967, ein etwas steriler Vorort von Minneapolis,  kerzengerade Asphaltstrassen, Reihen grauer Einzelhaeuser , sattgruene Rasenflaechen. Hier wohnt der  juedische Universitaetsprofessor Larry Gopnik mit seiner Frau Judith, dem  halbwuechsigen Sohn Danny, der waehrend des Schulunterrichts heimlich  Rockmusik hoert und sonst gerne kifft, und der Tochter Sarah, die staendig an eine Nasenoperation denkt und immer in einen Club namens “The Hole” verschwindet. Eine normale, amerikanische Durchschnitts- Familie.

Bis den bieder-netten Larry eines Tages ein Unglueck nach dem anderen trifft: seine Frau will sich scheiden lassen und einen schmierigen Bekannten heiraten, ein suedkoreanischer Student versucht ihn wegen schlechter Noten mit einem Briefumschlag voller Dollars zu erpressen, sein an einer seltsamen Krankheit leidender Bruder Arthur, der sich in der Familien eingenistet hat, wird von der Polzei wegen illegalem Pokerspiel gesucht. Und die beruflich bevorstehende Verbeamtung scheint durch anonyme Briefe, die ihn sexueller Untaten beschuldigen, gefaehrdet.

Larry, angesehenes Mitglied der oertlichen juedischen Gemeinde sucht Rat und Hilfe bei drei Rabbinern – doch keiner kann ihm helfen: der erste ist ein schwadronierender Gruenschnabel, der zweite erzaehlt ihm lediglich die komische Geschichte von einem Zahnarzt, der auf den Zaehnen eines Patienten in hebraeischen Buchstaben den Spruch „Rettet mich“ eingraviert findet, und der dritte –  hausend in einem mit seltsamen Dingen vollgestopften duesteren Raum –  hat fuer Larry einfach keine Zeit : er denkt gerade nach! 
Larry wurstelt sich trotzdem mit bewunderswerter Geduld durch sein aus dem Ruder laufendes Leben, stellt aber immer wieder die alte (biblische) Frage: „Warum das mir?“ Eine Antwort vermag ihm niemand zu geben,  auch der befreundete Rechtsanwalt nicht, dessen Gehilfe, ein dicker alter Mann, in dem Moment tot vom Stuhl faellt, als er das Ergebnis seiner Recherche zugunsten von Larry ausspackenen will.

Doch  gluecklicherweise stirbt ploetzlich der Liebhaber seiner Frau bei einem Autounfall – die Ehe scheint nochmal gerettet. Sohn Danny uebersteht durch perfekt gelernten Ritual-Text – wenn auch bekifft – glanzvoll seine Bar Mizewa Feier, und Larry selbst wird schliesslich doch noch von der Uni in den  Beamten-Stand  aufgenommen.

Alles okay? Schon meldet sich sein Arzt und scheint den urspruenglich positiven Gesundheits-Check zu widerrufen, waehrend die froehlich-tobende  Schulklasse von Danny wegen eines sich naehernden Tornado’s das Gebaeude verlassen muss, um sich in die Synagoge zu retten…

Zwischen Komik und Ernst zeichnen die Coen-Brueder das Milieu ihrer Kindheit nach, kritisch und liebevoll zugleich. Voll dramaturgischer und bildlicher Verweise, die nicht immer leicht zu entschluesseln sind oder bewusst im Diffusen gehalten werden.
Grossartig sind Auswahl und Fuehrung der hierzulande kaum bekannten Schauspieler, besonders Michael Stuhlbarg als der nicht-unter-zu-kriegende Ungluecksrabe Larry oder der junge Aron Wolff als sein pfiffig-gelassener Sohn Danny.
Eine filmisch raffinierte Balance aus einerseits  sarkastischer Distanz zu Religion und gesellschaftlichen Verhaltensweisen, andererseits aber voll menschlicher Empathie  – wenn auch mit ungewohnt pessimistischem Unterton.  
Grosses Kino – witzig, unterhaltsam, hellsichtig – aber auch grausam und bitter.

Foto/Verleih: Tobis
zu sehen: CineStar im Sony Center (OV); Hackesche Hoefe (OmU); Odeon (OmU); International; CinemaxX Potsdamer Platz; Cinema Paris; Kulturbrauerei; Neues Off