Musikalische Haute-Couture: „Agrippina“ in der Staatsoper ****

Georg Friedrich Haendel’s Jugendwerk „Agrippina“ wurde vor 300 Jahren in Venedig uraufgefuehrt – ein Sensations-Erfolg. Eine satirische Komoedie im alt-roemischen Gewand, ein fuer die damalige Zeit freches Spiel um Macht- und Liebe. Kaiserin Agrippina versucht mit List und Luegen ihren Sohn aus erster Ehe, Nero, zum Nachfolger ihres vertrottelten (zweiten) eGatten, dem Kaiser Claudius zu machen. Mittel im raffinierten Raenkespiel sind der Feldherr Ottone und die von ihm geliebte Poppea, auf die sowohl Claudius wie auch Nero ein verliebtes Auge geworfen haben. Doch der Gepflogenheit der Zeit entsprechend, geht die boese Intrigen-Geschichte gut aus, duerfen sich nach vier Stunden alle Personen zum froehlichen „Happy End“ vereinen.
In der Staatsoper ist Rene Jacobs der meisterliche Spiritus Rector dieser „black comedy“. Unter seiner temperamentvollen Anfeuerung spielen die Musiker der „Akademie fuer Alte Musik“ hinreissend – alles wirkt wie mit dem Silberstift ausziseliert, federnd, spruehend, klangpraechtig.
Allein wie Rene Jacobs die einleitenden und ausklingenden Takte der Arien oder ihre konzertierende Begleitung durch ein Solo-Instrument durch subtile Farbgebung und feine Abstufung der Dynamik gestaltet, zeigt den ueberlegenen, musikdramatischen Gestalter.
Das Saenger- und Darsteller-Ensemble ist superb, bis in die Nebenrollen perfekt besetzt. Im Mittelpunkt die Bulgarin Alexandrina Pendatchanska als raffiniert-elegante Intigantin Agrippina, ein aeusserst agiler Mezzo. Anna Prohaska ist mit glockenreinen Sopran-Toenen ihre liebenwuerdig-huebsche Gegenspielerin Poppea und die junge Amerikanerin Jennifer Rivera ueberrascht in der Hosenrolle des Nero mit gelaeufigen Koloraturen. Marco Fink, ein orgelndem Bass-Bariton, singt einen drollig-vertrottelten Claudius in maechtigen Pumphosen , die lustigen Nebenrollen sind bei Neil Davies, Dominique Visse und Daniel Schmutzhard bestens aufgehoben. Doch zum Star des Abends wird – wie schon in vorausgegangenen Produktionen – der amerikanische Counter-Tenor Benjamin Mehta als Ottone: eine hoechst-virtuos gefuehrte, klangfarbenreiche, volltoenende Stimme, die scheinbar muehelos die schwierigsten Passagen meistert und gleichzeitig die jeweiligen Gefuehle ueberzeugend ausdrueckt.
Szenisch wird diese „Agrippina“ von einem franzoesischen Team gestaltet – mit erlesenem Geschmack (Regie: Vincent Boussard, Buehnenbild: Paul Zoller, Kostueme: der Pariser Modeschoepfer Christian Lacroix).
Die Buehne ist ein grosser leerer Raum, gelegentlich unterteilt von Perl-Vorhaengen, die je nach Beleuchtung farbig oszillieren. Vor dem Orchester befindet sich eine Art Laufsteg mit leicht spiegelndem Boden, der gelegentlich die Schatten der gerade auftretenden Personen zart an die Waende wirft. Ausser Claudius, der barocken Brustpanzer und Halskrause traegt, tragen alle Handelnden heutige Kleidung, die Herren dunkle oder weisse Anzuege, die beiden Damen aber extravagante Haute-Couture von raffinierter Schlichtheit.
Es gelingt dem Regisseur erstaunlich gut, durch geschickte Personenfuehrung die komplizierte Story klar und deutlich zu erzaehlen. Eine Reihe huebscher Einfaelle setzt satirische, ironische oder auch komoediantisch-derbe Akzente: wenn Agrippina die beiden komischen, das Volk symbolisierenden Nebenfiguren scheinheilig gegen den Kaiser aufhetzt und ihnen falsche Sex-Verspechen macht; wenn Claudius,  auf einem maechtigen, weissen Sofa trohnend, vom Feldzug aus Egland zurueckkehrt und mit zwei durchsichtigen Riesen-Luft-Ballons spielt – Seifenblasen eben; oder wenn die erregte Agrippina, um ihren Willen durchzusetzten, dem Claudius rabiat ans Gemaecht geht.
Kleine Einschraenkung: so elegant und prachtvoll die Auffuehrung sich praesentiert – ihre fuer den heutigen Geschmack etwas strenge Aneianderreihung von Rezitativ und Arie, das Fehlen groesserer Ensemble-Nummern und die minimalistische Art der Inszenierung  vermoegen gelegentliche Ermuedungserscheinungen nicht zu verhindern.
Dennoch: ein Triumph fuer Rene Jacob und die Barock-Oper. Grosser Beifall.

Foto: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin

alle Vorstellungen sind ausverkauft