Knalliger Reisser: „Oberst Chabert“ in der Deutschen Oper ***

Wer kennt Hermann Wolfgang von Waltershausen? Nur die wenigstem Musikfreunde duerften den Namen schon einmal gehoert haben. Waltershausen, 1882 in Goettingen geboren, schrieb unter anderem 5 Opern, war hauptsaechlich als Musikpaedagoge in Muenchen taetig, wo er auch 1954 starb. Obwohl eher konservativ und national gepraegt, wahrte er Distanz zum Nationalsozialismus und verlor darum seine offizielle Stellung als Leiter der Muenchner Musik-Akademie 1933. Seine Werke wurden aber nie verboten und so konnte sein Musikdrama „Oberst Chabert“ (uraufgefuehrt 1912 in Frankfurt am Main) noch im Maerz 33 seine Berliner Erst-Auffuehrung an der damaligen Staedtischen (heute: Deutschen) Oper erleben. Doch nach 5 Auffuehrungen verschwand das Werk vom Spielplan: die jetzige neue Einstudierung am gleichen Haus war deshalb fuer das Publikum eine echte, ueberraschende Entdeckung.
Von Waltershausen hat sein Libretto selbst geschrieben:  Vorlage war Balzacs beruehmte, sozialkritische Novelle vom napoleonischen Oberst Chabert, der nachdem er vermisst und fuer tot erklaert wurde, einige Zeit spaeter nach Paris zurueckkehrt und seine Frau wie sein Vermoegen in den Haende eines Anderen vorfindet. Daraus macht der ganz in der spaetromantischen Wagner-Nachfolge stehende Komponist einen psychologischen Thriller – eine melodramatische Dreiecks-Geschichte zwischen Bariton (Oberst Chabert), dem Sopran (seiner ehemaligen Frau Rosine) und dem Tenor (der neue Gemahl Rosines). 3 kurze Akte mit letalem Doppel-Selbstmord-Ende.
Das gross besetzte Orchester malt farbig auftrumpfende Leidenschaften, einen sueffig stroemenden Melos fast ohne Einbeziehung neuerer musikalischer Errungenschaften: zwar klangpraechtig, effektvoll, aber auch etwas aeusserlich, epigonenhaft, altvaeterlich.
Die Deutsche Oper bot zwei konzertante Auffuehrungen an. Konzertant heisst in diesem Fall: das kraftvoll aufspielende Orchester unter Jacques Lacombe sass wie eh und je im Graben, die sechs Solisten in dunklen Anzuegen standen auf der Vorderbuehne vor einer grossen Leinwand, auf die schwarz-weisse Video-Filme projeziert wurden, meist die Gesichter der Saenger in Grossaufnahme. Dieses hautnahe Minenspiel bot einen klugen zusaetzlichen Reiz.
Ueberragend war der daenische Bariton Bo Skovus in der Titelrolle, auch die Nebenrollen (Simon Pauly, Stephen Bronk) waren ausgezeichnet besetzt, waehrend Manuela Uhl (Rosine) und Raymond Very (ihr neuer Gemahl) zwar leidenschaftlich agierten und sangen, aber einiges an stimmlicher Schoenheit und Leuchtkraft vermissen liessen.
Dennoch eine interessante Wiederentdeckung – ob diese Oper aber fuers Repertoire tauglich waere, darf bezweifelt werden.

Foto: Literaturarchiv und Bibliothek Muenchen