Ein Klassiker in Top-Form: Wiederaufnahme von „Die Bajadere“, jetzt in der Deutschen Oper ****

Die tragische Liebesgeschichte der indischen Tempeltaenzerin Nikia zu dem beruehmten Krieger Solor, der seinerseits aus Standesgruenden die Tochter eines Maharadschas heiraten soll, ist ein typisches Ballett-Maerchen des 19.Jahrhunderts: voll farbig-fantastischer Exotik, gesehen durch die romantisch-verklaerende Brille der Kolonialzeit. Zugleich ist „Die Bajadere“ ein Klassiker des zaristischen Ballett-Theaters, erfunden vom beruehmtesten Choreographen seiner Zeit,  Marius Petipa.
Seltsamerweise erlebte das ausladende Tanz-Maerchen erst 1980 seine erste vollstaendige Auffuehrung im Westen,  2002 inszenierte es Vladimir Malakhov mit grossem Erfolg an der Staatsoper Unter den Linden. Jetzt wurde die „Bajadere“ – nach einigen Jahren Pause und bedingt durch die mehrjaehrige Schliessung und Sanierung des Hauses Unter den Linden -  in die Deutsche Oper an der Bismarckstrasse verpflanzt.
Erneut erweist sich die Produktion als grosser Erfolg beim Publikum und als kuenstlerischer Triumph fuer das Staatsballetts: sicherlich die ueberzeugendste Inszenierung von Vladimir Malakhov, der mit seinen letzten klassischen Choreographien (Dornroeschen, La Peri) weniger Glueck hatte. Hier passt alles zusammen: die stringent erzaehlte Geschichte, klare und punktenaue Pantomime, geschickte Abwechslung attraktiver Ensemble- und ausgefeilter Duo-und Solo-Nummern, praechtige Buehnenbilder und Kostueme (Jodi Roig) und vor allem eine behutsam-ergaenzende Choreographie der Petipa’schen Vorlage.
Hoehepunkt ist der beruehmte 3.Akt, der – bekannt unter dem Titel „Das Reich der Schatten“ -  das klassische Ballett in Reinform praesentiert: vom Auftritt der nacheinander sich folgenden Taenzerinnen im weissen Tutu und ihrer streng-geometrischen „Chorusline“ bis zu dem wunderbar ausschwingenden Pas-de-Deux von Nikia und Solor mit seinen artistischen Raffinessen : Inkunabel russischer Tanzkunst und Vorbild fuer die (spaeteren) „weissen“ Akte in „Schwanensee“.
Getanzt wird auf hoechstem (technischen) Niveau – hier braucht Malakhov’s Berliner Kompanie keinen internationalen Vergleich zu scheuen. Es gibt exzellente Auftritte der keineren Formationen und mitreissende Kurz-Szenen (die drei weiblichen Schatten, der Goldene Gott), vor allem aber brillieren Elena Pris als elegante Rivalin und Gegenspielerin sowie Dmitry Semionov als ein sehr maennlicher Solor, beeindruckend durch seine grosse Sprungkraft, wenn er auch als Darsteller etwas blass bleibt. Die Krone aber gebuehrt Beatrice Knop; eine in jeder Bewegung vollendete Bajadere, die – allein mit ihrem Koerper und trotz der strengen Tanzsprache -  das ganze Drama einer grossen, enttaeuschten Liebe ueberzeugend und anruehrend ausdrueckt. Und so auch die Kluft zwischen dem stark formal-korsettierten Ballett des 19.Jahrhunderts und dem eher psychologisierenden Tanzgefuehl von heute zu ueberbruecken vermag.
Der Klasse-Abend eines Klassikers.

Foto: Monika Rittershaus/Staatsballett Berlin

naechste Vorstellungen:1.und 4.Juli 2010