Fremd und faszinierend: “ Uncle Boonmee erinnert sich…“ von Apichatpong Weerasethakul ****

Der vollständige Titel des thailändischen Spielfilms, der in diesem Jahr die Goldene Palme von Cannes gewann, lautet in der deutschen Synchronfassung: „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“. Der Plural des Wortes Leben weisst auf die buddhistische Grundphilosophie des Werkes hin: auf den Glauben an die Seelenwanderung.  Mensch, Natur, Tiere und Geister, Vergangenheit, Zukunft und die reale Gegenwart des heutigen (politisch zerissenen) Thailand durchdringen sich auf wundersame und magische Weise, die einem westlichen (Durchschnitts-)Zuschauer allerdings einige Rätsel aufgibt. Viele der wunderbaren Bilder, der scheinbar schlichten Dialoge und Handlungen entschlüsseln sich in ihrer Doppel- oder Vieldeutigkeit nur zum Teil,  Bedeutung und Nuancen der Episoden können vom westlichen Betrachter nur erahnt werden.
Was zum Beispiel bedeutet die im Urwald und in magischer Dämmerung spielende Eröffnungs-Sequenz, in der ein an einem Baum festgebundener Büffel sich losreisst, durch die Landschaft stapft und schliesslich sich wieder ganz unspektakulär eingefangen lässt ?
Ist die goldgeschmückte Prinzessin, die in einer Sänfte durch den Dschungel getragen wird, in einen Wasserfall steigt und mit einem Fisch sexuell spielt, eine vergangene Erscheinung oder eine Wiedergeburt Uncle Boonmees?
Die eigentliche Story :  Uncle Boonmee ist schwer nierenkrank und hat sich zum Sterben auf eine Farm im Nordosten Thailands zurückgezogen, begleitet von seiner Schwägerin, deren Sohn und einem laotischen Gastarbeiter als Helfer. Aber bald erscheint beim gemeinsamen Abendessen auch die tote Frau Boonmees und noch später der Sohn, der vor Jahren bei einer Fotosafari sich mit einem Affen verband und nun als rotäugiger, stark behaarter Affenmensch zurückkehrt. Wie selbstverständlich mischt der Regisseur Reales mit Irrealem, Religiöses mit Aberglauben, Folklore mit Geschichte und Mythos.
Im knappen Epilog sortiert dann die Schwägerin die schriftlichen Beileidsbezeugungen zum Tod Boonmmees und zählt die den Briefen beigelegten Geldscheine. Ihr Sohn erscheint im orangefarbenen Mönchsgewand, das er ablegt, um zu duschen. Dann zieht er Jeans und Shirt an und geht mit seiner Mutter zum Essen in eine bunt erleuchtete (Karaoke-?)Bar. Doch das Filmbild zeigt beide Gestalten doppelt: die einen verlassen den Raum, die andern bleiben darin sitzen: was ist die Realität, wie deutet sich dieses offene Ende ?
Ein kleines Meisterwerk: schillernd und geheimnisvoll, traumhaft und real zugleich, von grosser und wohltuender Ruhe, zwar fern und doch menschlich anrührend – eine poetische Geschichte wie sie nur das Medium Film erzählen kann.

Foto (Poster) und Verleih: movienet

zu sehen: Babylon Kreuzberg (OmU), Hackesche Höfe (OmU), Neue Kant Kinos (dt.)