Christoph’s Reste-Rampe: “ Metanoia“ – Uraufführung der Staatsoper im Schillertheater **

Die Uraufführung der Auftrags-Oper „Metanoia – über das Denken hinaus“ des bisher kaum bekannten Komponisten Jens Joneleit (42) eröffnete am Tag der deutschen Einheit die drei-jährige Spielzeit der Staatsoper im frisch renovierten Ausweich-Quartier Schillertheater.
Ein geschickter Schachzug des neuen Intendanten Jürgen Flimm, denn Uraufführungen beweisen künstlerischen Mut  und vor geladenen VIPs, von denen keiner sich als Kunstbanause entlarven will, erhält auch eine neutönende oder experimentelle Oper garantiert freundlichen Applaus, zumal wenn vorzügliche Musiker und Sänger hohes Niveau a priori garantieren.
Doch im August starb zwei Tage vor Proben-Beginn der vorgesehene Regisseur Christoph Schlingensief – ein Lieblingskind bundesdeutscher Feuilletons.  Er hinterliess ein paar in Gesprächen entwickelte Ideen;  Bühnenbilder und Kostüme waren in Arbeit, aber ein fertiges Konzept lag nicht vor. Nach einigem Nachdenken entschloss sich das Ensemble, gemeinsam eine Auführung zu erarbeiten, ohne dabei ein Schlingensief-Imitat anzustreben.
Das Ergebnis zeigt jetzt eine Art Oratorium, das auf den ersten Blick ein bisschen an Schlingensiefs bisherige Theaterarbeit erinnert: frontal zum Publikum in zwei Reihen der Chor in unkleidsamen Ganzkörpertrikots (Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“ lässt grüssen!), dazwischen die Solisten in historisierenden Roben, im Bühnenhintergrund dunkles Gestänge und ein Gazevorhang, auf dem fortlaufend schwarz-weisse Schnippsel aus frühen Schlingensief-Filmen flimmern.  Ausschliesslich auf der Vorderbühne – in ständig wechselndes,  stark farbiges Licht getaucht -  verhandeln die fünf Sänger und ein Schauspieler in weisser Toga philosophische, gelegentlich auch alltags-banale Thesen – ein kruder Libretto-Mix, den Rene Pollesch aus eigenen und aus Texten von Nietzsche („Über die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“) collagiert und „überschrieben“ hat. Eher verwirrend als überzeugend.
Die Musik von Jens Joneleit lässt die gross besetzte Staatskapelle, kompetent geleitet von Chef Daniel Barenboim, mächtig aufrauschen, gelegentlich von sanfter Elektronik umspülen.  Eine Partitur, die bekannte und bewährte Formeln der neueren Musik des 20.Jahrhunderts benutzt, und die im renovierten Schillertheater – dank tontechnischer Unterstützung – schöne akustische Effekte erzielt. Dennoch scheint Jens Joneleit mehr Epigone und Ekklektiker als Neuerer. Die Sänger danken’s ihm durch angenehm klingende Tongestaltung:  Annette Dasch, Anna Prohaska, Graham Clark, Daniel Schmutzhard, Alfred Reiter. Schauspieler Martin Wutke, der meist im Dunkel mit Taschenlampe herumtappen darf, setzt seine wohlklingende, volle Stimme für Nietzsche-Sentenzen und wohl auch für einen Schlingensief-Zitat ein.
Am Ende – nach gut einer Stunde -  hebt sich der Gaze-Vorhang und man sieht nun die halbfertigen Bühnenbilder Schlingensiefs:  Nachbildungen von Organen eines Körpers sollten es werden, darin sich dann Zellen und Parasiten bewegen konnten. Man ahnt, dass dies eine schräge und wilde Produktion geworden wäre – und nicht das insgesamt doch ziemlich blutleere Staatsopern-Oratorium und spröde Thesen-Theater, dem auch die handwerklich hohe Qualität der Aufführung keinen echten Bühnen-Atem einzu flössen vermag.

Foto: Monika Rittershaus / Staatsoper im Schillertheater