Finstere Gross-Stadt-Gang: “ Don Giovanni“ in der Deutschen Oper Berlin **

Die offene Bühne: ein pechschwarzer Raum. Während der Ouvertüre schält sich langsam aus der Finsternis ein hochgewachsener Mann, modisch-dunkler Anzug, gegeeltes Haar, Don Giovanni. Ihm folgen – gleichgekleidet – 20 Doppelgänger, bilden eine strenge Chorusline – eine choreographierte Männer-Riege, die Don Giovanni bis zu seinem Ende begleiten wird,  zugleich eine ergebene Schläger-Crew.  Diener Leporello dagegen ist der agile Kumpel, der zusammen mit seinem Herrn alle Untaten gemeinsam vorbereitet und verübt – eine leicht homoerotisch gefärbte Männerfreundschaft.
Auftritt Donna Anna im weissen Seidenhemd, gefolgt von ihrem Vater, der rasch von der Gang mit Golfschlägern brutal zuammengeschlagen wird. Donna Elvira bekommt die verflossenen Geliebten Giovanni’s als Fotos aus schwarzen Müllsäcken geliefert, Zerlina wird mit einem armlangen, goldenen Handschuh entjungfert (?) und statt ein Sektglas schwingt zur „Champagner-Arie“  Giovanni eine Peitsche.  Entsprechend sado-masochistisch schillert das  anschliessende Fest: ein sich drehendes Karusell-Gestänge roter und blauer Neonröhren, ein Partykeller mit viel nackten (männlichen) Oberkörpern.
Später bekommt Masetto seine Prügel, natürlich mit Golfschlägern, und darf Zerlina seinen blanken Hintern präsentieren.
Statt auf einem Friedhof laden Don Giovanni und Leporello den (unsichtbaren) toten Komtur vor dem Eisernen Vorhang ein und bei der finalen  Mahlzeit gruppiert sich die Schägertruppe zum lebenden Bild nach Leonardos berühmten Abendmahl. Die anschliessende Höllenfahrt verläuft glimpflich – denn danach steht Giovanni wieder auf, schüttelt den Staub vom Anzug und das Spiel kann von vorne beginnen… (das Schluss-Sextett ist gestrichen).
„Don Giovanni“ als coole Gross-Stadt-Revue, sehr chic und modisch, ein bisschen Friedrichstadt-Palast, etwas mehr harte Club-Szene  -  optisch effektvoll und mit komischen Einlagen garniert: Alex Esposito als quicker Leporello darf hierfür die italienische ‚comedia-del-arte‘-Rampensau rauslassen.
Regisseur Roland Schwab und sein Team haben sich vieles einfallen lassen, was intellektuell oder komödiantisch zur (literarischen) Don-Juan-Figur in Beziehung stehen könnte – nur auf Mozarts Musik haben sie nicht gehört – denn die erzählt eine ganz andere und weit vielschichtigere Geschichte.
Entsprechend oberfächlich fällt die musikalische Seite des Abends aus. Dirigent Robert Abbado muss sich unterordnen, viele unnötige Generalpausen einfügen, die Musik dem szenischen Geschehen, den vielen Bühnen-Gags anpassen. Eine eigene, eine überzeugende Lesart der Musik kommt dadurch nicht zu Stande.
Die meisten Sänger bleiben weitgehend solides Mittelmass, da sie bei dieser Inszenierung wenig Unterstützung durch Regie oder musikalische Leitung erhalten.
Profil vermögen nur die beiden Personen zu gewinnen, für die sich die Regie ausschliesslich interessiert: den kraftvolle Bass-Bariton Ildebrando d’Arcangelo in der Titelrolle und den bewundernswert agilen Alex Esposito als dessen Gegenspieler Leporello.
Alle Damen bleiben durchweg blass: Marina Rebeka (Donna Anna), Ruxandra Donose (Donna Elvira), Martina Welschenbach (Zerlina). Dem eher metallischen Tenor Yosep Kang’s (Don Otavio) fehlen Weichheit und Wärme.
„Don Giovanni“ als Spielwiese für vergnügungssüchtige Yuppies und modische Interpretations-Akrobaten läuft ins Leere. 
Mozart ist da viel genialer.

Foto: Marcus Lieberenz / Deutsche Oper