Politischer Leerlauf: ‚Carlos – DerSchakal‘ von Olivier Assayas **

Was ist die Wahrheit über Carlos, den meistgesuchten Terroristen der 1970er und -80er Jahre? Aus historischen Fakten und freier Ergänzung – was besonders die Beziehungen der handelnden Personen untereinander betrifft – haben der französische Regisseur Olivier Assayas und sein Drehbuchautor Dan Franck ein Bio-Pic inszeniert, das vor allem auch die filmischen Gesetze eines Polit-Thrillers erfüllen will.  Eigentlich die Auftragsarbeit für ein mehrteiliges Fernseh-Spektakel,  jetzt (vorab) in einer dreistündigen (deutschen) Kino-Version zu sehen.
Carlos ist der selbstgewählte Deckname des gutbetuchten Venezolaners Ilich Ramirez Sanchez. Der Film beginnt mit der Bewerbung des gutaussehenden jungen Mannes um Aufnahme bei der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“(PLFP). Um deren Vertrauen zu gewinnen, begeht er kaltblütig Mordeanschläge in London und Paris, immer ein flottes marxistisches Wort gegen den Kapitalismus auf den Lippen. Er erhält – trotz einiger Bedenken -  den Auftrag, 1975 die Wiener OPEC-Konferenz zu stürmen und vor allem den saudi-arabischen Ölminister zu beseitigen. Doch Carlos hat sich übernommen und die politische Gemenge-Lage falsch eingeschätzt: das erpresste Flugzeug muss unfreiwillig in Algier landen und endet mit der mit Freilassung aller Geiseln. Es ist ein mit viel Dollars verbrämter Misserfolg, der promt mit Carlos‘ Entlassung aus den Reihen der Palästinenser betraft wird. Von nun an versucht der inzwischen weltweit gesuchte Terrorist mit dem Sex-Appeal eines Che Guevara eine eigene Terror-Organisation aufzubauen, verhandelt und verbandelt sich  mit sämtlichen Geheimdiensten der Ostblocks und der arabischen Länder. Vor allem deutsche Revolutionäre – insbesondere weibliche – , die sich vom „2.Juni“ getrennt haben, schliessen sich dem südamerikanischen Macho an. Doch mit dem Ende des Kalten Krieges (dem Fall der Berliner Mauer) verliert Carlos seine politische Basis, der persönliche Niedergang beginnt: die Ehe zerbricht, er wird fett und krank, bis der Sudan ihn Mitte der 90er Jahre an denn französischen Geheimdienst ausliefert. Verurteilt in Paris für seine Morde in Frankreich, sitzt er bis heute im Gefängnis.
Ein Leben wie für den Polit-Krimi erdacht : und so wirkt auch der Film von Olivier Assayas (vor allem in der ersten Hälfte) wie ein flotter Thriller mit einigen effektvollen Action-Szenen – besonders brillant: das fast eine Stunde dauernde, blutige OPEC-Attentat. Dazwischen immer wieder kammerspielartige Passagen, die Carlos als brutalen und narzisstischen Macho zwischen Alkohol-Exzessen und Sex-Eskapaden zeigen. Auch wenn der Film sich überwiegend an historische Fakten hält, wirkt diese gespielte Biographie oft sehr klischeehaft und oberfächlich: mit einem unsympathischen  und egoistischen Negativ-Helden, linke Ideen laut propagierend, aber wie ein übler Kapitalist handelnd : die perfekte Kino-Schablone eines Terroristen. Die politischen Zusammenhänge deutet der Film in kurzen Szenen zwar an – doch durchschauen vermag sie nur ein einschlägig vorgebildeter Zuschauer. Die politisch Handelnden – Minister wie Geheimdienstler – wirken im Film alle gleich und unpersönlich: durchtriebene, schlitzäugige Gangster, denen es nur um den eigenen Vorteil geht, und die sich darum dem jeweiligen politischen Wind anpassen. Differenziert wird kaum.
Assayas mag seinen an vielen Orten und in zahlreichen Sprachen gedrehten Film kritisch gemeint haben, doch das intellektuelle Ergebnis bleibt mager und vorhersehbar. Und auch die Schauspieler (Edgar Ramirez, Nora von Waldstätten, Alexander Scheer u.a.) wirken entsprechend blass: wechseln zwar Frisuren und Kleider, vermögen aber kaum Charakter zu zeigen.
Nachgespielte Dokumentationen sind immer ein heikles Wagnis  -  und auch diesem „Carlos“ gelingt der Spagat zwischen historischer Realität und kritisch-erhellender Fiktion nur in wenigen Momenten.

Foto / Verleih: NFP

zu sehen: Odeon (OmU), CinemaxX Potsdamer Platz, Delphi, International, Kulturbrauerei, Yorck (Länge: 187 Min.)
ausserdem in den Kinos: Rollberg, Hackesche Höfe, International in der Original-Fassung und -Länge: 330 Min., in zwei Teilen