Ein starker Auftritt: ‚Un Tramway‘ – Gastspiel aus Paris ****

Hinter dem Titel ‚Un Tramway‘ verbirgt sich eine freie, französische Fassung des Tenessee-Williams-Klassikers ‚A Streetcar Named Desire‘ (Endstation Sehnsucht)  von 1950. Der junge, polnische Star-Regisseur Krzysztof Warlikowski zeigt eine radikal modernisierte Inszenierung, die sich fast allein auf die Figur der (hier von Anfang an)  psychisch gestörten Blanche du Bois konzentriert. Soziale oder politisch-geographische Verhältnisse (der Untergang der amerikanischen Gesellschaft der Südstaaten) spielen keine Rolle. Auch die Beziehungen Blanche’s zu ihrer schwangeren Schwester Stella oder zu ihrem – in dieser Aufführung – biederen Schwager Stanley spielen nur eine Nebenrolle. Der Abend wird so zum starken Auftritt der Darstellerin der Blanche: zum umjubelten Triumph von Isabelle Huppert.
Es ist eine zwei-einhalb-stündige, pausenlose Tour de Force, angereichert mit langen Wort-Passagen, in die auch Texte von Sophokles bis Oscar Wilde eingebaut sind. Die schlanke Isabelle Huppert entwickelt in dieser stark ausgebauten Rolle eine unglaublich intensive Energie und zähe Vitalität, die sie aber mit spielerischer Leichtigkeit und Eleganz sichtbar zu machen versteht. Sie ist gleichzeitig die Leidende, Einsame, Verzweifelte aber auch die Kapriziöse, Arrogante und intellektuell Überlegene in diesem Spiel um Realität und Wahn. Auch sprachlich changiert Huppert’s Blanche grandios auf einem schmalen Grad zwischen Boulevard-Geplauder und schrillem Ausbruch, zwischen tränenerstickter Tonlosigkeit und (französisch)hohem Pathos.
Eine an die Grenzen des Menschlichen stossende, schillernde Figur, die anrührt und betroffen macht.
Die weite, offene Bühne deutet (metaphorisch) eine Bowlingbahn an, darüber ein schmaler, fahrbahrer Glaskasten mit Toilette und Badewanne. Nahe der Rampe rechts ein paar moderne Sessel, links ein breites Bett. Bunt-flackernder Beleuchtungswechsel vermittelt Disco-Atmosphäre, eine Sängerin interpretiert populäre englische Hits, aber auch (bedeutungsschwanger beim Sex zwischen Stanley und der betrunkenen Blanche ) eine Rock-Version von Monteverdis ‚Tancredi‘. Videobilder zeigen immer wieder die Gesichter der Darsteller in Gross-Aufnahme. Doch all diese modischen Regie-Zutaten bleiben äusserlich, werden allein durch Isabelle Huppert’s darstellerische Kraft zusammengehalten. Ihr allein verdankt der Abend seine Grösse und seine Mitgefühl auslösende Wirkung: der starke Auftritt einer zierlichen, grossen Schauspielerin.

Foto:Pascal Victor / ArtComArt / Berliner Festspiele