Ins Abseits gestylt: ‚The Rake’s Progress‘ in der Staatsoper (im Schillertheater)*

Igor Strawinsky’s englische Oper „The Rake’s Progress“ (Libretto: H.W.Auden und Chester Kalman) wurde 1951 mit grossem Erfolg in Venedig uraufgeführt – eine raffinierte Mischung aus alten Formen und zeitgemässem Ausdruck. Mozart,  Rossini,  Bellini standen musikalisch Pate, kontrastiert oder gebrochen vom typisch „tockenen“ Strawinsky-Ton. Die Bewunderung für das Vergangene trifft auf die ironischen Haltung der Gegenwart. Die Musik bleibt tonal, aber das kleine Orchester würzt mit schrägen Klängen und Rhythmen;  das Libretto schillert zwischen nüchternem Sentiment, frecher Ironie und bissiger (Gesellschafts-)Satire.
Erzählt wird im Stil einer englischen Moritat vom faustischen Pakt zwischen dem naviven Land-Ei Tom Rakewell und dem teuflichen Verführer Nick Shadow. Tom verlässt Heimat und seine geliebte  Anne, verliert sich im Londoner Lasterleben, das ihm geschickt Nick Shadow ermöglicht;  doch als der Pakt nach einem Jahr böse endet, verliert Tom den Verstand und stirbt im Irrenhaus – auch Anne’s unverbrüchliche Treue kann ihn nicht zu retten. Die augenzwinckernde Moral: „Wo Faule sind auf dieser Welt, der Teufel find’t sein Feld bestellt“.
Die Neuinszenierung der Staatsoper wurde dem – als Starregisseur gehandelten – Polen Krzysztof Warlikowski anvertraut, dessen französische Paraphrase auf Tenessee Williams „Endstation Sehnsucht“ vor einigen Wochen (innerhalb der Gastspielreihe „Spielzeit Europa“) allein durch die grossartige Isabelle Huppert gerettet wurde. Auch bei Strawinsky:  weniger eine Interpretation der Vorlage als eine modisch gestylte Performance zu einigen Aspekten der Oper – meist sehr schräg und eigenwillig.  Strawinskys spielerisches Zitieren vorgefundener Formen und ihr Kombinieren mit Gegenwärtigem findet keinerlei szenische Entsprechung, dafür vage und oft unverständliche Andeutungen von allerlei modischen Ideen und Maschen. Warum z.B. muss der Vater von Anne hier an ihr ein sexuelles Interesse haben?  Was soll die schwule Komponente zwischen Tom, Nick und den vielen Drag-Queens ?  Welche Absicht verfolgt in der Auktions-Szene der herumkletternde Spiderman ? Was bringt der altmodische Regie-Gag, das Ganze sei eine  TV-Aufzeichnung ?  Ohne Kenntnis der Librettos dürfte kaum ein Zuschauer die Story noch ihre Ausdeutung kapieren.
Die offene Bühne ist ein dunkler Kasten mit schwarz-glänzendem Boden, gerahmt von spiegelnden Türen und farbigen Neonröhren, einem Disco-Club ähnlich.  Im oberen Teil des Hintergrunds ein bühnenbreiter Rang, auf dem der Chor sitzt, der gelegentlich singend kommentiert, manchmal auch kleine Spielchen untereinander treibt. Tom ist in Gestalt von Tenorbuffo Florian Hoffmann ein schlacksiger Junge in Jeans und Turnschuhen, Nick Shadow – von Gidon Saks mit kraftvollem Bass-Bariton vital verkörpert – ähnelt zunächst einer Kopie von Andy Warhol, die treue Anne gleicht eher einer Grossstadt-Göre als einem einfachen Mädchen vom Land – die mit klarem Sopran singende Anna Prohaska  hat deshalb darstellerisch sichtlich Schwierigkeiten einen stimmigen Charakter zu formen . Und ob es ein glücklicher Einfall war, die Rolles der Türken-Bab (einem Jahrmarkts-Monster) mit dem schmalen Counter-Tenor  Nicolas Zielinski zu besetzen, mag dahingestellt sein.
Leider kann Dirigent Ingo Metzmacher die bunte, aber flache Aufführung nicht wirklich retten, zu sehr muss er sich bemühen, die oft ungünstig platzierten Darsteller, den weitentfernten Chor und die – trotz schöner Details eher brav spielende – Staatskapelle „unter einen Hut zu bringen“,  zu sehr lenken die vielen Aktionen, Videobilder und Camcorder-Fahrten von der Musik ab – Metzmacher kommt dagegen kaum an: die Musik bildet nicht das Zentum des Spektakels, erfährt deshalb auch keine persönlich-prägende Interpretation.
Alte Erfahrung: Prominente Namen allein sind keine Garantie für eine gelungene Aufführung.

Foto: Ruth Walz/Staatsoper