Samowar und Birkenwäldchen: ‚Eugen Onegin‘ im Staatstheater Cottbus****

Zu Beginn verhüllt ein durchscheinend-weisser Gaze-Vorhang die Bühne, dahinter sieht man schemenhaft einen spät-bürgerlichen Salon mit Wintergarten und Blick auf schlanke Birkenstämme. Auf einem Stuhl vor der Gaze sitzt Tatjana und liest in einem Roman – so dass das folgende Geschehen auch ein romantischer Traum des schwärmerischen Mädchens sein könnte.
Martin Schüler, der regieführende Intendant,  hat sehr geschickt die verschiedenen (auch zeitlich weit auseinanderliegenden) Bilder des 1. und 2.Aktes zu einer einzigen grossen Szene verbunden: die Begegnung Tantjanas mit Onegin auf dem Landgut ihrer (hier an den Rollstuhl gefesselten) Mutter;  das Schreiben des Briefes, diesmal im nächtlichen Salon;  die darauf folgende herablassende Zurückweisung Tatjanas durch Onegin;  das kleine, ländliche Fest sowie das Duell zwischen Onegin und seinem Freund Lenski (halb im Salon, halb im Birkenwäldchen-Garten) mit seinem tödlichen Ausgang.
Auch die beiden Bilder des 3.Aufzuges sind zu einem einzigen zusammengezogen (immer mit entsprechenden, kleinen Veränderungen des deutsch gesungenen Textes): es zeigt  einen pompösen Petersburger Saal mit heller Birken-Tapete, in der sich eine stark aufgebrezelte Gesellschaft in Goldlamme-Roben und Seiden-Jackets tummelt – offensichtlich eine Karikatur post-sowjetischer Neu-Reicher. Fürst Gremin ist hier ein sehr vermögender, junger Mann,  den die inzwischen damenhaft-elegante Tatjana diesmal zum heimlichen Zeugen ihrer letzten Auseinandersetzung mit Onegin macht.
Inszenierungs-Ideen, die nicht durchweg einleuchtend sind. Doch die logischen Brüche dieser Fassung werden  vom effektvollen und lebhaften Spiel der Darsteller hinweggefegt, der dramatische Schwung der Inszenierung überspielt inhaltliche Bedenken.
Auch musikalisch setzt Generalmusikdirektor Even Christ auf Drive und spielerische Leichtigkeit, die Dramatik wird erst in der Schluss-Szene hochgepeitscht – ein kluger Akzent, der die szenische Deutung geschickt ergänzt, und die hörbaren Schwächen des Orchesters überspielt.
Andreas Jäpel ist ein stimmgewaltiger Onegin, auch in der inneren Wandlung vom blasierten Land-Adligen zum verzweifelt Liebenden überzeugend,  Anna Sommerfeld seine strahlende Tatjana mit leuchtenden Tönen. Marlene Lichtenberg gefällt als Olga durch frisches Spiel und einen  tiefen, vollen Mezzosopran, während der baumlange Ingo Witzke noch recht steif seinen Gremin verkörpert. Lebhaft in seiner Darstellung, aber etwas dünn in der Stimmlage ist der Lenski von Matthias Bleidorn.
Temperamentvoll agieren das übrige Ensemble und der Chor.
Eine anspechende und spannende Aufführung, ein schöner Beweis für die Leistungsfähigkeit des – im Gegensatz zu den viel üppiger ausgesatteten Berliner Häusern -  „ärmeren“  Theaters in Cottbus.

Foto: Staatstheater Cottbus

Nächste Vorstellungen: 12.02 / 18.03. / 14.04.2011