Musikalische Entdeckung: ‚Antigona‘ in der Staatsoper im Schillertheater ****

Eigentlich ist es eine Wieder-Entdeckung,  denn Musikfreunden ist der italienische Komponist Tommaso Traetta (1727-1779) kein Unbekannter – doch seine einst erfolgreichen Opern sind heute kaum auf einer Bühne zu erleben. Jetzt ist es der musikalischen Neugier und dem unermüdlichen Einsatz des – auf barocke Opern spezialisierten – Dirigenten Rene Jacobs zu verdanken, dass eine szenische Aufführung der 1772 für den Hof in St.Petersburg geschriebenen „Antigona“ im Berliner Schillertheater stattfindet  -  sie wird vor allem ein Triumph für den flämischen Dirigenten, für seine Musiker und Sänger.
Traetta’s „Tragedia per musica“ steht musik-geschichtlich zwischen Barock und Früh-Klassizismus, – vereinfacht gesagt zwischen Händel und Mozart: statt einer strengen Abfolge von Rezitativ und Arie erlebt man einen handlungsbezogenen Mix aus unterschiedlichsten Formen:  Arien, Duetten, grösseren und kleineren Ensembles, sowie wuchtigen Chor-Szenen. Das Orchester wird um – damals – neue (Blas-)Instrumenten erweitert, das klangliche Kolorit wirkt dadurch farbiger;  durch veränderte Melodie- und Stimm-Führung erscheinen die handelnden Figuren anrührender und individueller.
Rene Jacobs und die Musiker der ‚Akademie für Alte Musik‘ spielen die Finessen und Neuheiten der Traetta-Partitur aufs Schönste aus: rhythmisch belebt und empfindsam in der melodischen Gestaltung. Die argentinische Sopranistin Veronica Cangemi verkörpert nuancenreich und mit grosser Emphase die gegen das Unrecht aufbegehrende Antigona, Jennifer Rivera ist – mezzo-satt – ihre zaghaft-ängstliche Schwester Ismene. Antigona’s Verlobter Emone (Haimon) wird in dieser Aufführung von einem Counter-Tenor gesungen: Benjamin Mehta – virtuos, aber nicht ganz so makellos wie bisher gewohnt. Kurt Streit beeindruckt als kraftvoll-tenoraler Creonte (darstellerisch etwas verzappelt, was aber auf Kosten der Regie geht),  dem Zuträger und Diener Adrasto (laut Libretto: ein adliger Bürger Thebens) verleiht Kenneth Tavener geschmeidige Eleganz.
Diesem hohen musikalischen Niveau konnte die karge Inszenierung von Vera Nemirova nicht viel entgegensetzen (Ausstattung: Werner Hutterli, Birgit Hutter). Auf fast leerer Bühne – im Hintergrund ein sich farbig verändernder Wolkenhimmel – agieren die (in Kleidung der 1950er Jahre gesteckten) Personen unentschlossen: mal abstrahierend , mal psychologisierend. Die betont zeichenhafte Gestik und die vier immer wieder herumtollenden Halbwüchsigen (Antigone und ihre Geschwister als Kinder) wirken unbeholfen und überflüssig. Missraten der Schluss: während Traetta sein ‚Happy End‘ nicht nur aus Konvention, sondern auch als Idee der Aufklärung komponiert hat, misstraut die Regisseurin diesem Gedanken, lässt Antigona und Emone sich erdolchen und reiht danach die Darsteller einfach nebeneinander singend an der Rampe: keine sehr überzeugende Lösung.
Händels oder Mozarts unvergleichliche Popularität werden Traetta’s Werke sicher nie erreichen – aber dass der Komponist für einen anregenden und spannenden Opern-Abend gut ist, beweist diese wiederentdeckte „Antigona“. Rene Jacobs sei Dank!

Foto:Clärchen und Matthias Baus /Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:03./ 08./ 10.Februar 2011