Aus revolutionären Tagen: ‚El Cimarron‘ in der Staatsopern-Werkstatt ***

Ende der 1960er Jahre zieht es deutsche Linke nach Kuba.  Hans Magnus Enzensberger und Hans Werner Henze lernen dort einen über 100 Jahre alten ‚Cimarron‘ kennen, einen (in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts) entlaufenen Sklaven, dessen nacherzählte Autobiographie kurz zuvor als Buch erschienen war. Enzensberger schreibt ein dieser Biographie nachempfundenes Libretto, unterteilt in 15 kürzere Kapiteln, Henze ein – so der Untertitel – „Rezital“ , eine Art historisch-politischer Kantate,  eine klanglich delikate Partitur für einen Bariton, einen Flötisten, einen Gitarristen und einen Schlagzeuger. 1971 wir das Werk unter Henzes Leitung in Rom erfolgreich uraufgeführt.
Anlässlich des diesjährigen 85. Geburtstags des Komponisten hat die Staatsoper das kleine Werk in der schmucklosen Schillertheater-Werkstatt neu inszenierten lassen. Sophia Simitzis (Regie) und Inga Timm (Ausstattung) arrangieren dieses kleine Rezital etwas brav, aber mit einigen hübschen Ideen. Sie lassen das Publikum auf flachen, harten Podesten an drei Wänden sitzen, an der vierten Seite ist ein riesiges Instrumentarium aus vielen, unterschiedlichen Einzel-Schlagwerken aufgebaut, das von den drei exzellenten Musikern des Ensemble Quillo (Ursula Weiler, Daniel Göritz, Dominic Oelze) -  neben Flöte und Gitarre -  gemeinsam und vielfältig bedient wird. Dazwischen der schlanke Bariton Hubert Wild, dunkel geschminkt, mal im hellen Anzug mit Panama-Hut, mal in schäbig-alter Uniform, der die erschreckenden, autobiographischen Berichte spricht, flüstert, singt oder schreit. Wie er als Sklave auf den Zuckerrohr-Plantagen schuften muss, misshandelt wird, dann in die tiefen Wälder entflieht. Wie er nach der offiziellen Sklavenbefreiung wieder auf die Plantage zurückkehrt, die sadistischen Aufseher aber dieselben geblieben sind, und wie auch der grosse Unabhängigkeitskrieg von 1895, den er auf Seiten der Aufständischen erlebt,  keine echte Befreiung bringt.
Die traurigen Berichte werden ohne Larmoyanz oder Pathos, aber voll musikalischer Emotion vorgetragen, die Instrumente unterstützen oder illustrieren zwar – mal zart, mal dröhnend – finden aber in vielen ‚Zwischenspielen‘ ihre eigene Sprache und klanglichen Ausdruck.
Für eine eher heitere Note sorgen einige auf die Wand projezierte Video-Filme – putzige, fast slapstick-artige Szenen in einem Rousseau-schen Urwald, comic-artige Bilder und Collagen (Heta Multanen).  Ählich ironische Effekte wären vor 40 Jahren nicht denkbar gewesen,  aber – das Älterwerden eines Werkes  hat auch sein Gutes: das einstige ‚revolutionäre‘ Kuba-Pathos ist verflogen und der „Cimarron“ beweist dafür seine musikalische Qualität – zumal wenn sie so vorzüglich dargeboten wird, wie jetzt durch die jungen Musiker in der Schiller-Werkstatt.  Ein Abend für alte und neue Henze-Freunde.

Foto: Thomas Barilla/ Staatsoper

nächste Vorstellungen: 27.Febr./ 01., 04., 07. März 2011