Von der Kunst des Schauspielers: ‚Einfach kompliziert‘ im BE ****

Einen Namen hat er nicht, er ist einfach der alte, über 80jährige Schauspieler, der fast vereinsamt in einer schäbigen, kleinen Wohnung haust: abplätternde Wand-Farbe, ein Bett, ein Tisch, ein Kühlschrank, Stühle, ein Spiegel, ein Tonband. Durch das seitliche hohe Fenster dringt taghelles Sonnenlicht, das den Schatten des Schauspielers auf der gegenüberliegenden, kahlen Wand tanzen lässt. Er grummelt vor sich hin, erzählt von seine grossen Erfolgen in Duisburg oder Bochum, er kramt die Königskrone, die er einst als Richard III. trug aus der Kiste, er labert über seine geliebt- und gehassten Hausgötter Shakespeare und Schopenhauer. Zweimal in der Woche kommt ein kleines Mädchen, lieb, aber einsilbig, und bringt ihm eine Kanne frischer Milch – die er jedoch sofort nach ihrem Weggang ins Klo schüttet. Ein alter, bizarrer Kauz, sich immer mehr von der Welt abschottend, der mit ausladender, lebens-erinnernder Geste seinem Sterben entgegegen stolpert.
Thomas Bernhard hat dieses kleine Stück, das ganz ohne vergangene Nazi-Greuel, Familien-Scheusslichkeiten oder Österreichbeschimpfungen auskommt, vor 25 Jahren für Bernhard Minetti zu dessen 80.Geburtstag geschrieben. Jetzt hat es Claus Peymann, der berühmteste aller Bernhard-Regisseure, zu dessen 80.Geburtstag (würde er noch leben) neu in Szene gesetzt: mit Gerd Voss, seinem einstigen Richard III., und mit dem alten Bühnebild-Freund Karl-Ernst Herrmann. Ein Abend, der noch einmal die Grösse und Bedeutung der einstigen Theater-Weggefährten erkennen lässt, jener grossen und wichtigen Epoche des deutschen Theaters in Stuttgart, Bochum oder Wien.
Bernhard Minetti war dieser alte, mümmelnde Schauspieler – Gerd Voss spielt ihn, zeigt mit verblüffender Virtuosität die dargestellte Figur und gleichzeitig wie er sie ‚herstellt‘ – ein Balance-Akt, der verhindert, dass der Fast-Monolog ins Über-Eitle oder Larmoyante abgleitet. Peymann unterstützt ihn dabei ebenso dezent wie effektiv. Unsentimental, doch anrührend ist die Szene mit dem kleinen Mädchen, wirkungsvoll das Spiel mit dem (Fenster-)Licht oder dem Spiegel, komisch, wenn er den Nachtopf ausleert, aber schusselig sich die Restflüssigkeit über den Kopf schüttet und mit der Schlafanzugshose abtrocknet. Allerdings können auch Peymann und Voss bei all der Raffinesse ihrer Kunst nicht verhindern , dass das knapp zweistündige Stück im letzten Teil etwas langweilig zu werden droht.
Dennoch: ein schöner Abend, klug gestaltet, virtuos gespielt – auch wenn die verblüffend-neue, subversive Stoss-Kraft des Bernhard’schen Theaters von einst jetzt dank altersmildem Glanz doch sehr besänftig erscheint.

Premiere: 18.02.2011

Foto: Monika Rittershaus/ Berliner Ensemble