Bilderrätsel und Drogenrausch: ‚Tristan und Isolde‘ in der Deutschen Oper Berlin ****

Fast unhörbar, wie aus weiter Ferne erklingt der erste Ton von Richard Wagners hochromantischer „Tristan“-Partitur – dann führt Generalmusikdirektor Donald Runnicles seine hochkonzentriert spielenden Musiker ebenso behutsam wie zupackend in die gewaltigen, rauschhaften Entladungen des Orchesters. Die gross-disponierte, komplizierte Architektur der Musik wird unter Runnicles klar nachvollziehbar ohne ihre raffinierte Klangschönheit einzubüssen: eine überragende Leistung des neuen Musikchefs wie seines Orchesters. Auch bleibt  die Balance zwischen Orchester und Bühne immer gewahrt, kaum jemals werden die Sänger von den Klangwogen überdeckt – in den ruhigeren Momenten sind Gesangs- und einzelne Orchesterstimmen so detailgenau und einfühlsam herausgearbeitet, dass fast kammermusikalische Stimmung herrrscht und die Sänger deutlich zu verstehen sind. Ein „Tristan“ der Durchhörbarkeit, Klarheit und musikalischer Transparenz.
Zumal ein ausgezeichnetes Ensemble zur Verfügung steht, angeführt von Peter Seiffert, der nach seinem nur eingeschränkt gelungenen Tristan-Debüt vor einigen Jahren in der Staatsoper, diesmal den Titel-Helden überzeugend verkörpert, da er eine unermüdliche Stimm-Kraft und Ton-Schönheit bis in die grossen Wahn-Szenen des dritten Aktes bewahrt. Petra Maria Schnitzers Isolde vermag mit ihrem eher jugendlichen als hochdramatischen Sopran diese Kraft noch nicht ganz aufzubringen, nicht  jeder Ton klingt rund, aber diese Einschränkung kann sie durch ihre ungewohnt intensive Rollen-Verkörperung – darstellerisch wie musikalisch – glänzend auszugleichen. Kristinn Sigmundsson macht in den Monologen des betrogenen Königs Marke seine Erschütterung über den Treuebruch seines Zieh-Sohnes Tristans glaubhaft nachvollziehbar, Jane Irwin ist mit schönem Mezzo die bescheiden- treue Dienerin Brangäne. Als kerniger Kurwenal überzeugt (in der von mir besuchten 2.Vorstellung) der tadellose Einspringer Sebastian Noack; bestens fügen sich auch  die übrigen Ensemble-Mitglieder in den kleineren Rollen ein.

Umstritten ist jedoch die Inszenierung von Graham Vick, der mit den herkömmlichen Gewohnheiten stilisierter oder abstahierter Aufführungen nach dem Neu-Bayreuther Muster der Wagner-Enkel radikal bricht. Stattdessen setzt er auf surreal verfremdete Bilder, die sich allerdings nicht immer, und schon gar nicht auf den ersten Blick erschliessen. Die Bühne zeigt den grosszügigen Wohnraum eines modernen Bungalows mit Ledersofa, Sessel und einer Front von Glas-Türen, die auf eine weite Terasse führen. Beherrschendes Möbelstück ist ein blankpolierter Sarg in verschiedener Aufstellung (denn jeder Akt zeigt den gleichen Salon, aber aus  unterschiedlicher Perspektive). Tristan trägt einen dunklen Anzug, Isolde legere Freizeitkleidung. Statt eines (Liebes-)Trankes spritzt das Paar sich Drogen in den Arm, während Marke als abgewandter. stummer Zeuge im Hintergrund sitzt. Immer wieder erscheinen rätselhafte Personen auf der Terasse, scheinen religiöse Übungen zu machen, oder durchqueren stumm den Raum. Im 2.Akt gräbt hinter dem Sofa ein nackter Mann ein Grab, im 3.Akt sind alle Personen alt und grau geworden – auch Isoldes zunächst irisch-rotes Haar hat seine Farbe verloren, sie sinkt am Ende des „Liebestodes“ nicht um, sondern folgt trapperigen Schrittes ihrem Tristan und einigen anderen grauen Gestalten über die Terrasse hinaus in ein undefinierbar-dunkles Reich.
In dieser „Tristan“-Interpretation dreht sich alles ums Sterben,  jedes dieser rätselhaften Bilder kreist um den Tod. Durch die starke Präsenz der Sänger und durch ihrem intensives, engagiertes Spiel gewinnen diese Rätsel-Bilder eine fast magische Faszination : das Unergründliche, das Irritiernde des „Tristan“ beginnt in dieser surrealen Welt vielschichtig zu schillern.
Auch wenn nicht jede Idee einsichtig scheint und gelegentlich ein Zuviel an Einfällen von der zentralen Handlung abzulenken drohen (besonders im 1.Akt).
Man kann und darf eine solche Sichtweise ablehnen (wie dies überwiegend das Berliner Premieren-Publikum am 13. diese Monats tat), die exzellente theatralische Umsetzung des Konzepts, die  genaue Personenregie überzeugen ebenso wie die hohen musikalischen Qualitäten und lassen an der Ernsthafigkeit und Diskussionswürdigkeit der Produktion kaum eine Zweifel.  Insgesamt ein „Tristan“ der Sonderklasse.

Das Foto von Matthias Horn zeigt Kristinn Sigmundsson (Marke),Peter Seiffert (Tristan),Petra Maria Schnitzer (Isolde)/ c:Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen:22./26./30.März/ 3.April