Jubel im Tanz-Museum: ‚La Esmeralda‘ in der Deutschen Oper ****

1844 wurde das romantische Ballett  „La Esmeralda“  in London erfolgreich uraufgeführt, später im Westen vergessen, erlebte aber im kaiserlichen Russland wahre Triumphe, gefiel auch den Machthabern der Sowjetunion und erlebte 2009 am Moskauer Bolschoi-Theater eine Neu-Inzenierung, die die historische Rekonstruktion einer Fassung des wohl berühmtesten Ballett-Meisters der zaristischen Ära, Marius Petipa, in Choreographie und Ausstattung anstrebte. Etwas abgespeckt ist diese Aufführung nun vom Staatsballet Berlin übernommen worden.
„La Esmeralda“ erzählt – etwas simpel – die dramatische Liebesgeschichte der Zigeunerin Esmeralda aus Victor Hugo’s Roman „Der Glöckner von Notre-Dame“ (1831). Wobei der bucklige und humpelnde Glöckner  naturgemäss in einem klassischen Ballett nur eine kleine Nebenrolle spielen kann. Statt dessen:  viel mittelalterliches Volks-Leben in den engen Gassen um Notre-Dame herum und ein verklemmter Priester, der  – um die schöne Zigeunerin zu erringen -  auch vor einem Mord nicht zurückschreckt und diese fiese Tat dann ihr in die schönen (Spitzen-)Schuhe schiebt. Gleichzeitig muss der hübsche Phoebus, Offizier und Kapitän der königlichen Bogenschützen, sich zwischen seiner adligen Verlobten Fleur de Lys und der liebreizenden Zigeunerin (samt ihrer lebenden Ziege) entscheiden und bezahlt diese Entscheidung fast mit seinem Tod. Doch in diesem klassischen Ballettmärchen führen alle Hindernisse und Intrigen zu einem stahlenden ‚Happy End’  – ganz im Gegensatz zu Victor Hugo’s populärem Roman.
Wenn sich in der Deutschen Oper der rote Bühnen-Vorhang teilt, präsentiert sich ein mittelalterlich ausgepinseltes Paris mit allerlei bunt-betrumpften Volk, das aufgekratzt hin – und herwuselt. Esmeralda tanzt einen feurigen Bolero, die Männer schmachten nach ihr einschliesslich des rot-perückten Glöckners und die königlichen Soldaten marschieren dazu entsprechend gravitätisch. Ein ziemlich angestaubtes, altmodisches Kulissen-Theater, das leider auch im weiteren Verlauf des fast dreistündigen Abends den Geist einer vergangenen Epoche nicht verlebendigen kann. Papierene Rekonstruktion statt den Charme alter Kunst mit dem Blick von Heute neu zu entdecken. Zumal das Staatsballett für eine gelungene Wiederbelebung alter Klassiker einige schöne Beispiele im hauseigenen Repertoire besitzt („Schwanensee“- „La Bajadere“).
Dass der Abend dennoch zum umjubelten Triumph wird, liegt ausschliesslich an seinen choreographischen und vor allem tänzerischen Qualitäten. Reizvolle Soli, grosse und kleine Pas-de-deux‘,  Ensembles-Tänze in den unterschiedlichsten Formationen werden zu einer flüssig-abwechslungsreichen Tanz-Erzählung äusserst geschickt verwoben (Yuri Burlaka und Vasily Medvedev). Die rezitativisch-pantomimischen Teile sind auf das notwendige Minimum beschränkt, dafür wird, neben mehreren gossen Pas-de-deux‘,  vor allem den sehr ausladenden und schwungvollen Ensemble-Szenen viel tänzerischer Raum gegeben. Unter Verwendung der Original-Partitur des Italieners Cesare Pugni.
Und die Tänzer, meist aus der zweiten Linie, nützen diese Chance und präsentieren sich in Hochform. Besonders Jana Salenko als mädchenhaft-empfindsame Esmeralda und Mikhail Kaniskin als ihr männlich-kraftvoller Liebhaber Phoebus. Elena Pris verkörpert mit kühler Eleganz die blonde Rivalin Fleur de Lys, Rainer Krenstetter trippelt schüchtern und mit leiser Komik den verliebten Dichter Pierre, während Michael Banzhaf in schwarzer Kutte schlank und stolz als böser Domprobst finster durch die Kulissen schleicht.
Sonderlob für das gesamte, grosse Ensemble, das mal in schwingenden Zigeunerröcken und Samtwämsen, mal in schicken Tütüs und strammen Strumpfhosen mit Schwung und Präzision seiner Tanz-Lust freien Lauf läst. Überzeugend und begeisternd: und hieran zeigen sich Vladimir Malakhov’s Talent, neue und junge Tanz-Begabungen zu entdecken und zu fördern sowie seine Kunst, das Ensemble auf ein tänzerisches Niveau zu führen, das auch international bestens bestehen kann.
Für ihn und seine Tänzer : Chapeau claque!

Foto:Enrico Nawrath/Staatsballett Berlin

Premiere: 09.April 
nächste Vorstellungen: 01./ 06./ 13./ 22.Mai 2011