Im Hamsterrad: ‚Wozzeck‘ in der Staatsoper im Schillertheater ****

Zum Auftakt der diesjährigen  ‚Festtage‘ erarbeiteten deren musikalischer Leiter Daniel Barenboim und Regisseurin Andrea Breth eine Neuinszenierung von Alban Bergs „Wozzeck“, uraufgeführt 1925 in der damaligen Berliner Staatsoper.
Wenn sich der schwarze Vorhang hebt, sieht der Zuschauer nur einen kleinen, von Lattengittern begrenzten Raum ohne Tür-Öffnung. In diesem düstern Käfig rasiert Wozzeck in gekrümmter Haltung den Hauptmann, zieht er mit seinem Kameraden Andres toten Haasen das Fell ab (im Libretto schneidet er Waiden), besucht er seine Freundin Marie und das gemeinsame Kind, wird er vom Doktor in ein blaues Fass gesteckt und maltätiert, beschläft der halbnackte Tambourmajor roh die willigen Marie. Erst danach öffnet sich die gesamte Bühne und enthüllt die käfigartigen Zimmerchen als Teile eines waagerecht liegenden und sich langsam drehenden Hamster-Rades auf dem Doktor und Hauptmann spazieren gehen, die Soldaten pissen, kotzen und mit ihren Mädchen kopulieren. Später verschwindet auch diese hamsterrad-ähnliche Konstruktion und auf der nun leeren, dunklen Bühne ersticht Wozzeck Marie, tanzt zwischen grotesken, teils musizierenden, düsteren Gestalten (Wirtshausszene) und flieht, blutbefleckt, schliesslich in seinen schwarzen Tod (Bühne:Martin Zehetgruber).
Wie einen expressionistischen ‚Film-Noir’  lässt Andrea Breth die 15 Szenen rasch nacheinander ablaufen, getrennt durch die kurze ‚Schwarzblende‘ des auf-und niedergleitenden Vorhangs, während im Orchester die sehr delikat und transparent musizierten Zwischenspiele die menschlichen Tragödien auf der Bühne musikalisch verdichten. Eine sehr minimalistisch-strenge Inszenierung – angesiedelt in einer abstrakten Gegenwart. Realistisch ausgespielte Details wie die blutige Tierhäutung oder der brutale Umgang der Personen miteinander verhindern jedoch, dass die Aufführung in verharmlosende Stilisierung abgleitet. Eine sehr düster-pessimistische, auch selbst-quälerische Interpretation des „Wozzeck“, die zugleich aber  jede oberflächliche Aktualisierung mit gegenwärtigen sozialen Problemen meidet. Vielleicht ein wenig zu konzept-verpflichtet: warum in der letzten Szene die spielenden Kinder nur aus dem Off (Orchestergraben) zu hören sind und stattdessen der tote Wozzeck in der Mitte des ‚Hamsterrades‘ liegt, während sein Bub sich langsam um ihn herum bewegt, bleibt unklar. Hier unterläuft die karge Szene die gefühls-bewegende Musik, vermag sie kein  ihrem emotionalen Gehalt  entsprechendes Bild zu finden.
Zumal Daniel Barenboim und die exzellent spielende Staatskapelle gerade die spätromantische Herkunft von Bergs atonaler Musik anklingen lassen. Die hoch-komplexe Partitur wird so souverän – delikat in Einzelheiten, klangsatt in den Tutti -  ausmusiziert, dass auch ein nicht vorgebildeter Zuhörer Kraft und Schönheit dieser Oper zumindest erahnen wird. Roman Trekel gestaltet einen schlanken, glatzköpfigen Wozzeck mit hellem Bariton, ein williger, aber von bösen Obsessionen heimgesuchter Mann. Nadja Michaels Marie ist eine junge, temperamentvolle Frau, hin- und hergerissen zwischen widerstreitenden Gefühlen – mit einem in der Mittellage kräftigen, in der Höhe etwas schrillen Sopran. Um die beiden Hauptfiguren herum ein vorzügliches Ensemble: darunter Graham Clark als zwerg-giftiger Hauptmann und Heinz Zednik in der Rolle des silberbeschuhten, weisshaarigen Narren.
Eine musikalisch überzeugende wie szenisch intelligente Aufführung – auch wenn sie theatralisch ein bisschen zu spröde, zu kopflastig ausgefallen ist.

Foto: Bernd Uhlig/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 21. u. 24.April 2011