Kopfgeburt: ‚Idomeneo‘ in der Komischen Oper Berlin ***

Die offene, dunkle Bühne wird beherrscht durch einen nach hinten steil ansteigenden Bretterboden – in dessen Mitte: ein flaches Wasserloch. Der Chor in Gummistiefen und Wetterjacken sitzt mit dem Gesicht zum Publikum auf mehreren Stuhl-Reihen. Ein alter Mann wird von einer jungen Frau im orange-grellen Minikleid hereingeführt, ein Knabe mit dem Modell eines Segelschiffes folgt. Leise singt der Alte vor sich hin.
Regisseur Benedikt von Peter hat sich diese Eingangs-Sequenz erdacht: es soll ein Bild dessen sein, was nach dem Schluss von Mozarts Oper (UA: 1781) geschah: der senile Idomeneo, betreut von Schwiegertochter Ilia, begleitet von einem unschuldig spielenden Enkelkind.
Erst dann wird – mit dem Einsetzen der Ouvertüre – die im Heute angesiedelte Story gleichsam im Rückblick erzählt. Eine Geschichte über kollektiv (Chor) und individuell (Idomeneo) erlittene Kriegstraumata – und zwar im Spannungsfeld dreier Generationen. Im Hintergrund wuselt dabei immer der düstere Rache-Engel Elektra herum – barfuss im schwarz-schillernden Paillettenkleid – auch sie eine von Krieg und Mord Traumatisierte.
Eine reichlich kopflastige und verwirrende Deutung des antiken Geschehens, in dem überdies noch die griechischen Herrscher, die absoluten Fürsten der Mozart-Zeit und der vater- und götterlose Zustand heutiger Demokratien sich spiegeln sollen. Einige Figuren (der Vertraute des Königs, der Hohe Priester) sind gestrichen, ihre Rezitative Elektra oder Idomeneo in den Mund gelegt. Klarer für den Zuschauer, der das Libretto nicht kennt, wird die Handlung dadurch nicht, zumal auch die theatralische Umsetzung des Regie-Konzepts auf der Bühne nur partiell gelingt, etwa im Quartett der vier individuell geführten Hauptpersonen,  jedoch  – besonders in den Szenen des Chors und  der Komparsen, die immer wieder die Stühle rein-und raustragen müssen oder über den Bretterboden und durch die Wasserpfütze kriechen dürfen -  rätselhaft und verwirrend bleiben.
Gedankliche Überladung ohne entprechende, überzeugende Theater-Bilder.
Sehr viel besser fällt die musikalische Seite aus. Chefdirigent Patrick Lange animiert das Orchester zu einem kraftvoll aufgerauhten Mozart-Ton, einige Unsauberkeiten oder zu langsame Tempi sind wohl der Inszenierung geschuldet. Rainer Trost als grauhaarig-gebeugter Idomeneo betont dementsprechend eher die lyrischen, als die heldischen Züge seiner Rolle und meistert seine anspruchsvolle, barocke Arie im Zentrum der Oper mit hoher Virtuosität. Was den drei Damen an Schönheit und Wohlklang der Stimmen abgeht, ersetzen sie eindrucksvoll durch dramatischen Ausdruck. Erika Roos gewinnt dabei die Siegerpalme dank ihrer äusserst temperamentvoll gestalteten Rache-und Verzweiflungs-Arie am Schluss, bevor sie buchstäblich ins Wasser geht. Karolina Gumos ist mit flexiblem Mezzo ein schlanker Idamante, Brigitte Gellert eine etwas herbe Ilia. Wie immer sehr präsent: der kompakt singende Chor einschliesslich des Kinderensembles, das vom 2.Rang aus dem Orakel – in dieser neu übersetzten, deutschen Fassung – seine hellen Stimmen leiht.
Szenisch wenig überzeugend, doch musikalisch ein durchaus ansprechender Abend.

Foto:Andreas Mühe/Komische Oper

nächste Vorstellungen: 20. u.29.Mai / 02., 12. u.25.Juni 2011