Auf dem Abstell-Gleis: ‚Samson et Dalila‘ in der Deutschen Oper Berlin **

Drei alte Eisenbahn-Geleise führen parallell von der Bühnen-Rampe in die schwarze Tiefe des Raums. Zwischen diesen Schienen – auf nacktem Schotter – hocken die Hebräer (die Juden), einer Flüchtlings-Gruppe gleich, gekleidet in dunkelfarbige Kostüme der französischen Belle Epoque – jener Zeit, in der Camille Saint-Saens‘ einzig-populäre Oper entstand. Samson, der israelische Anführer im Gehrock und hohem Zylinder, hetzt sein Volk zum Widerstand auf gegen die Soldaten der feindlichen Philister (Franzosen) : mit prompten Erfolg. Doch Dalila, eine üppige Dame der (französischen) Gesellschaft versucht Samson zu verführen – zwischen den Geleisen -, um ihn auf ihre weibliche Weise und aus Patriotismus für ihr Land zu besiegen.
Doch hier endet in der Deutschen Oper diese alt-testamentarische Story: die bekannte Geschichte vom jüdischen Volkshelden Samson und seinen übernatürlichen Kräften, deren Geheimnis er der schönen Feindin Dalila beim Liebesakt verrät, dann gefangen und zum Selbstmord-Attentäter wird, indem er die Säulen des Tempels einreisst und sich und die feinlichen Philistern unter deren Trümmern begräbt.
Doch der britische Regisseur Patrick Kinmonth verlegt die biblische Fabel nicht nur ins späte 19.Jahrhundert, sondern er mischt den deutsch-französicher Krieg 1870/71 und seine politischen Folgen (Tage der Comune) mit Anspielungen auf die Kriegsgeschichte und Judenvernichtung im 20.Jahrhundert – eine Vorgabe, die theatralisch kaum umsetzbar ist und hier nur zum penetrant-platten Bild der (die gesamte Aufführung beherrschenden) toten Eisenbahn-Geleise führt. Ausserdem sind in dieser Neu-Deutung Samson und Dalila ein verheiratetes Paar mit einem halbwüchsigem Sohn, der von einem Kindermädchen immer wieder hereingeführt und von seiner Mutter kräftig geohrfeigt wird: es tobt – so darf man vermuten – ein psychisch und physich heftiger ehelicher Kampf der Geschlechter, der sich allerdings nur zu schnell im verwirrenden Krampf einer undurchsichtigen, häuslichen Zimmerschlacht verliert. Oder war das ganz anders gemeint ?
Dass die verkorkste Aufführung – trotz kräftiger Buh-Rufe auch in der von mir besuchten 2.Vorstellung – dennoch grossen Beifall findet, liegt ausschliesslich an ihren musikalischen Qualitäten. Der junge, französische Dirigent Alain Atinoglu verbindet Eleganz und Leichtigkeit des Musizierens mit dramatischen Akzenten; das aufmerksame Orchester und der trefflich einstudierte Chor folgen ihm mit grosser Flexibilität und klanglicher Delikatesse.
Jose Cura – seit Jahren der internationale Samson vom Dienst – stemmt immer noch laute und kraftvolle Spitzentöne, doch gerät die Stimme in der Mittellage oft in unschönes Flattern. Als Dalila überzeugt (in der 2.Aufführung) die Polin Malgorzata Walewska: allerdings mehr durch ihren vollen, dunkel-satten Mezzo als durch verführerisch-erotischen Ausdruck. Einen überzeugenden Ober-Priester (hier: eher Offizier) verkörpert der ausdrucksstarke Bariton Laurent Naouri – er ist übrigens der einzige Sänger, der ein klar-verständliches Französich zu artikulieren vermag. Ansonsten ist der Zuschauer auf deutsche Übertitel angewiesen.
Schade : Saint-Saens‘ lyrisch-raffinierte Oper hätte ein Schmuckstück im Repertoire der Deutschen Oper werden können – doch dürfte die gedanklich überdrehte und szenisch fade Produktion sich selbst an einem längeren Bühnen-Leben kräftig hindern.

Foto: Barbara Aumüller /Deutsche Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 21./ 26./ 29.Mai / 02. und 05.Juni 2011