Vom Zahn der Zeit: ‚Der Tribun‘ in der Staatsoper /Schiller-Werkstatt***

Ein kurzer Abend an langen Holztischen und auf schmalen Bänken;  junge Damen im feschen Dirndl servieren Bier oder Wein, aus den Lautsprechern tönt Blasmusik: die kleine Schiller-Werkstatt präsentiert sich als improvisierter Biergarten. An der Stirnseite ein erhöhtes Podium, davor nehmen Musiker der Staatskapelle Platz – auch sie in zünftig-bayrischer Tracht. Zunächt  – gleichsam als Ouvertüre – eine kurze Suite von John Cage für zwei Schlagzeuger, Klavier und Radio, 1942 unter dem Titel „Credo for us“ geschrieben als witzige Satire auf den damaligen, amerikanischen Musik-Geschmack. Mächtige Schlagzeug-Kaskaden, die immer wieder von knappen (oft jazzigen) Klavier-Einwürfen unterbrochen werden oder denen ein Radio dazwischen quäckt : am Premierenabend war’s – ein hübscher Einfall ! – die Übertragung des Fussballspiels Deutschland-Aserbaidschan.
Nach diesem rein musikalischen Auftakt schliesst sich ohne Unterbrechung eine szenische Einrichtung des Hörspiels „Der Tribun“ an, das Mauricio Kagel 1979 aus mehreren, ironisch-gebrochenen, fiktiven Politiker-Ansprachen und den  – von ihm dafür komponierten – ’10 Märschen, um den Sieg zu verfehlen’  zusammengebastelt hat. (Ein Jahr später wurde die WDR-Produktion mit dem renomierten Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet.)
In der heiteren Bierzelt-Atmosphäre der Schiller-Werkstatt lässt der junge Regisseur Thorsten Cölle den britischen Bass-Bariton Nicholas Isherwood die grotesk-absurden Ansprachen des Tribunen von dem mit Tisch und Stuhl ausgestatteten Podium mit mächtiger Stentor-Stimme (und perfekter deutscher Aussprache) in den Saal trompeten, manchmal darf er sich mit Hand-Mikro unters kichernde Publikum mischen. Immer wieder werden diese bizarr-bösen Sprach-Klischees und hohlen Polit-Stereotypen – wie auf Knopfdruck – vonden 10 schrägen Militär-Märschen unterbrochen, ‚falschen‘ Tönen, die die Bläser der Staatskapelle mit hoher Präzision und grossem Vergnügen (unter Stabführung von Günther Albers) schmettern lassen. Dabei nützt der Tribun diese flotten, schrillen Zwischenmusiken, um immer wieder Brille, Bärtchen oder Perücke zu wechseln, einen Sacko oder ein Kleid überzustreifen, auf diese Weise Person und Geschlecht zu tauschen und zwar in makabrer Steigerung: am Ende ballert ein wild gewordener Frankenstein mit dem Revolver sinnlos umher.
Ein kurzweilig-gefälliger Abend, der aber auch deutlich macht, dass der Zahn der Zeit an den einstigen Provokationen eines Cage oder Kagel mächtig genagt hat, dass die Satire fast jeden Biss verloren hat – und dem Regie-Team wenig eingefallen ist, den heute harmlosen Werkchen -  künstlerisch wie intellektuell -  neue oder frische Schärfe zu verleihen. (Was hätte wohl ein Christoph Schlingensief daraus gemacht?).

Foto: Barbara Braun/Staatsoper

nächste Vorstellungen: 10./ 11./15.Juni 2011