Aufgepfropfte Philosophie: ‚The Tree of Life‘ von Terrence Malick ****

Texas/USA – eine ganz gewöhnliche Familie in den 1950er Jahren. Der Vater (Brad Pitt) ist Ingenieur bei einer grossen Firma, die Mutter (Jessica Chastain) kümmert sich um das hübsche Vorstadt-Haus und den dazugehörenden grünen Rasen. 3 Söhne wachsen hier scheinbar sorgenfrei auf.
Der Film baut sich in vier Abschnitten auf.  Im ersten erhält die Mutter einen Brief, der ihr den Tod des 19-jährigen Sohnes mitteilt (im Krieg gefallen ?).  Schnitt: der zweite Sohn (als Erwachsener: Sean Penn) ist erfolgreicher Architekt geworden, hetzt durch moderne Glas- und Stahl-Paläste, erinnert sich dabei an Bilder aus seiner Kindheit.
Der sofort daran anschliessende zweite (sehr lange) Film- Abschnitt ist eine gewaltige Flut von Aufnahmen aus der Natur: Sonnenexplosionen, Vulkane, Wasserfälle, urtümliche Tier- und Pflanzenwelten, raffiniert geschnitten und mit viel klassischer Musik und gelegentlichen Bibel-Worten unterlegt.
Dann der dritte und ausführlichste Abschnitt des Films. Wie der Vater liebevoll, aber mit strenger Autorität seine Söhne erzieht, die sich (in diesem Teil) etwa im Grundschulalter befinden. Der geregelte Tagesablauf mit gemeinsamen Mahlzeiten und Freizeitbeschäftigungen wie Musizieren, Gartenarbeit oder sportlichen Spielen – meist unter dem grossen ‚Lebensbaum‘ vor dem Haus. Spannungen enstehen zwischen dem Vater und dem langsam aufbegehrenden mittleren Sohn, autoritäre Erziehung provoziert jugendlichen Trotz. Die sanfte Mutter hält sich meist schweigend zurück, nimmt ihre Kinder aber immer in Schutz.  Dieser Teil endet mit der Entlassung des Vaters durch seinen Arbeitgeber und dem Auszug der Familie aus dem gepflegten Vorort-Haus (wohin -  bleibt offen).
Im (vierten und) abschliessenden Abschnitt trifft dann der erwachsene Sohn als Architekt in bizarren Landschaften noch einmal die Personen seiner Vergangenheit, surreale Begegnungen, bei denen alle stumm aneinander vorbei laufen: eine Art Befreiung oder Erlösung zu Musik von Berlioz‘ Requiem ?
Schon bei seiner (mit der Goldenen Palme ausgezeichneten) ersten Aufführung in Cannes im Mai 2011 standen sich Begeisterung und Ablehnung des Films schroff gegenüber. So auch jetzt im Kino:
die Mischung aus Natur-Mysthik und Familien-Story bleibt problematisch. Formal ist der Film hervorragend gestaltet, dramaturgisch ungewöhnlich gebaut, exzellent photographiert und geschnitten, und darstellerisch trefflich besetzt (auch wenn der Auftritt von Sean Penn etwas kurz ausgefallen ist). Doch die philosophisch aufgeladenen Bilder-Fluten und surrealen Sequenzen (Dinosaurier am Bach!) bleiben flach und ohne Tiefe. Die dazu dröhnende Musik (Smetana,Gorecki, Mahler u.a.) verstärkt nur den Eindruck esoterischen Kunstgewerbes.
Ungewöhnlich ist dieser ‚Lebensbaum‘ durch die sensibel erzählte Familengeschichte – immer nur aus der Erinnerung des erwachsenen Sohnes: zeitlich und inhaltlich sprunghaft, oft nur kurz aufblitzende Bilder und angerissene Szenen, die jedoch ein wunderbar stimmiges Portät der gezeigten Menschen und ihrer Welt ergeben,  ihres Denkens und Fühlens, das zugleich ihrer Zeit verhaftet und  – in seinen Verhaltensmustern – zeitlos erscheint. 
In diesen Teilen triumphiert Terrence Malick‘ aussergewöhnliche Begabung des filmischen Erzählens – der philosophische Überbau durch die breit ausgewalzten Natur-Bild-Sequenzen zeigt zwar handwerkliche Virtuosität, bleibt ansonsten aber leer.

Poster/Verleih: Concorde Filmverleih GmbH

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Hackesche Höfe Kino (OmU); Odeon (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Delphi; Filmtheater am Friedrichshain; International; Kulturbrauerei; Yorck