Zähe Satire: ‚Candide‘ in der Staatsoper im Schillertheater**

Leonard Bersteins „Candide“ (uraufgeführt 1956)  tut sich bis heute – trotz zahlreicher Umarbeitungen -  schwer auf der Bühne, während die Ouvertüre und einige Musiknummern daraus sich zu Hits auf dem Konzertpodium und im Radio entwickelt haben. Auch die Neuinszenierung der Staatsoper im Schillertheater hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: missrät weitgehend zum bunten Kasperletheater ohne zündenden musikalischen Funken.
Der französische Regisseur Vincent Boussard lässt auf karger, hellglänzender Bühne eine groteske Sitten-Revue im Stil der Hogarthschen Kupfer-Stiche ablaufen – Strawinskys ‚Rake’s Progress‘ lässt deutlich grüssen. Kostüme zwischen schrägem Rokoko und heutiger Pariser Haute Couture (vom Modeschöpfer Christian Lacroix),  farbig-abstraktes Video-Geflimmer, dazu der düster gewandete Staats-Opern-Chor, der hinter einer Rampe auf halber Bühnen-Höhe das Geschehen neugierig beobachtet und klangschön kommentiert. Candide, anzusehen wie ein fescher Italo-Tenor, purzelt als naiver Tor durch die hier immer gleich aussehende, kahle Welt, vom heimischen Westphalen über Paris und Buones Aires nach Venedig, stehts auf der Suche nach seiner geliebten Cunegonde. Doch der satirisch-politische Hintergrund bleibt bei dieser vordergründigen Comic-Reise ausgeblendet -  aus dem komisch-kritischen Musical wird eine oberfächliche Klamotte.
Auch musikalisch kommt der (englisch gesungene) Abend nicht in Fahrt – trotz des kompetenten  Gast-Dirigenten Wyne Marshall : das Orchester klingt nur laut und wenig differenziert. Der Amerikaner Leonardo Capalbo spielt mit gefälligem Tenor einen agilen Candide. Maria Bengtson ist seine attraktive, blonde Cunegonde (in Lacroix’s schicken Abendkleidern), doch singt sie mit kühler Perfektion, ohne jedes ‚Glitter and be gay‘ (Funkeln und Fröhlichsein). Und Anja Silja als ‚Old Lady‘ (mal in weisser Servierschürze, mal in schrillem Pepita) ist stimmlich nur noch ein trauriges Abbild ihres einstigen Ruhms. Wirklich überzeugend präsentiert sich nur die Marthaler-Ikone Graham F.Valentine in mehreren kleinen, scharf gezeichneten, komischen Rollen.
Ein äusserlich kunterbunter Abend, aber ohne Biss, ein musikalischen Feuerwerk, das nicht zündet: Candide muss weiterhin auf Suche gehen – nach der besten aller (Bühnen-)Welten.
Foto: Clärchen und Matthias Baus/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:26./ 28.und 30.Juni 2011