Exotischer Chic: ‚Matsukaze‘ in der Staatsoper im Schillertheater ***

Eine ‚Choreographische Oper‘ nennt Sasha Waltz ihre neue Arbeit, die im Mai dieses Jahres in Brüssel uraufgeführt wurde und jetzt in Koproduktion mit der Berliner Staatsoper im Schillertheater gezeigt wird.
„Matsukaze“ basiert auf einem alten, japanischen Stück des No-Theaters, in dem ein Mönch bei seiner Pilgerfahrt an der Meeresküste von Suma auf die nächtlichen Geister eines Schwestern-Paares stösst, das vor vielen Jahrhunderten sich in einen Edelmann aus der Hauptstadt verliebte, der aber nach drei Jahren zurück musste und kurz darauf starb. Die Geister-Schwestern bitten den Mönch um Erlösung, es kommt zu hoch emotionalen Szenen.  Als die Sonne aufgeht, ist der phantastische Spuk vorbei, der Mönch wandert weiter.
Der renommierte japanische Komponist Toshio Hosokawa (geb.1955), dessen Werke zur Zeit von vielen Orchestern in aller Welt (Cleveland, Wiener- und Berliner Philharmoniker) aufgeführt werden, hat diese elegische Parabel mit einer Mischung aus fernöstlichem Idiom und westlich-atonaler Avantgarde wirkungsvoll unterlegt und coloriert. Meeres- und Wind-Geräusche, japanische Glöckchen, sanfte Streicher-Cascaden und mächtige Blech-Gewitter verweben sich mit den wohlklingenden Stimmen der beiden toten Schwestern zu einem attraktiven Klang-Bild.
Sasha Waltz inszeniert das märchenhafte Geschehen als elegant-stilisierten Traum. 14 Tänzer in schicken Hosen-Röcken, changierend  zwischen schwarz und weiss, huschen in hohem Tempo über die zunächst leere Bühne, recken die Arme in die Höhe, gruppieren sich zu massiven, eindrucksvollen Skulpturen. Effektvoll schiebt sich dann ein dunkler Vorhang aus wild verknüften Fäden an die Rampe, in dem die beiden Schwestern, hell gewandet, wie phantastische Insekten herumklettern. Leichte Stäbe fallen wie bei einem Mikado-Spiel aus dem Bühnenhimmel und formen sich dann zu mattenartigen Umhängen der Tänzer.
Sasha Waltz verzichtet so auf alle naturalistischen Details und erfindet stattdessen eine abstrakt-poesievolle Bilderwelt, die dem Spiel einen tieferen, gedanklichen Horizont öffnet.  Dass dabei gelegentlich die Grenze zum Kunst-Gewerbe gestreift oder überschritten wird, liegt in der Natur einer solchen Inszenierung.
Herrausragend sind die Interpreten: die fabelhaft singenden und tanzenden Darstellerinnen der beiden Schwestern: Barbara Hannigan (Sopran) und Charlotte Hellekant (Mezzo), sonor als Bass, aber etwas steif in der Personenführung Frode Olsen als Mönch. Perfekt die Tänzertruppe von Sasha Waltz, geschmeidig die acht Chorsänger des Vocalconsort Berlin und äusserst präsent die Staatskapelle unter dem jungen, aufstrebenden Spanier Pablo Heras-Casado.
Welche Bedeutung und Bühnen-Laufbahn diese ost-westliche „Matsukaze“ besitzt, mag die Zukunft erweisen. Dass das aktuelle, choreographische Kostüm, das Sasha Waltz ihr verpasst hat, den Geschmack und die Erwartung des augenblicklichen Publikums perfekt trifft, beweist der grosse Erfolg der Aufführung  – in Brüssel wie in Berlin.

Foto:Bernd Uhlig/ Staatsoper Berlin

Vorstellungen: 15./ 16./ 17.Juli 2011