Hochkarätig: ‚Aus einem Totenhaus‘ in der Staatsoper im Schillertheater *****

Eine internationale Ko-Produktion – eine Inszenierung von Patrice Chereau, die 2007 unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez im Theater an der Wien ihre erfolgreiche Premiere feierte. Nach Aufführungen bei den Festivals in Amsterdam und Aix-en-Provence zog sie nach New York an die Met und nach Mailand an die Scala und eröffnet nun als letzte Station ihrer Reise die neue (zweite) Spielzeit der Staatsoper im Schillertheater (6 Aufführungen). Mit dem hauseigenen Chor, der Staatkapelle und einem Sänger-Ensemble -  gemischt aus einigen Berliner Solisten und solchen, die die Produktion bei den vorherigen Stationen begleitet haben. Neu in Berlin ist die musikalische Leitung durch Philharmoniker-Chef Simon Rattle.
Die Bühne zeigt einen engen Gefängnis-Hof umgrenzt von hohen Beton-Wänden; die ausschliesslich männlichen Gefangenen tragen abgewetzte Alltags-Kleidung von heute, das Wachpersonal schäbige Kaki-Uniformen. Chereau und seine Ausstatter (Bühnenbild: Richard Peduzzi, Kostüme: Caroline de Vivaise)  vermeiden weitgehend zeit- oder polit-historische Andeutungen, interpetieren das Geschehen vielmehr als allgemein menschliches, jederzeit anzutreffendes Verhalten. Gefängnis- und Lagerleben, gemein und brutal, aber in einzelnen Momenten auch von berührender Menschlichkeit.
Chereau choreographiert mit höchster Präzision den schrecklichen Alltag, zeigt die Eingesperrten beim Essen, beim Arbeiten oder – in einer grandios-grotesken Szene – beim Theaterspielen. Vor allem aber entwickelt er die einzelnen Charaktere mit schärfster, psychologischer Genauigkeit – wodurch die oft langen, monologischen Berichte einzelner Gefangener über ihr Leben und ihre Verbrechen zu spannenden und erschütternden Einblicken in menschliche Abgründe werden. Demgegenüber stehen bewegende Versuche, Freundschaften zu entwickeln oder sich selbst irgendwie aus innerer Verzweiflung zu befreien.
Simon Rattle lässt die dunkel-glühende Staatskapelle rauh, äusserst expressiv und schneidend scharf spielen, ohne dabei jemals die Sänger zu übertönen. Rattle ist das emotionale Pendant zur kalt-brutalen Szene Chereau’s, in der das Sänger- und Darsteller-Ensemble zu Hochform aufläuft. Ein Ensemble, in dem keiner sich als Star hervortut, obwohl alle bis in die kleinste Partie Stars sind. Willard White als geschundener Polit-Aktivist, Eric Stoklossa als junger Mörder, der das Lesen lernen will, Stefan Margita als Verbrecher unter falschem Namen, John Mark Ainsley als im Wahnsinn endender Mörder aus Leidenschaft – sie seien stellvertredend für die vielen anderen beeindruckenden Sänger und Schauspieler – auch der kleinen Rollen (rührend: Heinz Zednik) – genannt.
Leos Janacek’s letzte Oper „Aus einem Totenhaus“ (UA: 1930; Libretto vom Komponisten nach Dostojewski) ist ein selten gespieltes, das Publikum forderndes, sprödes Werk – in dieser szenisch wie musikalisch bewegenden Aufführung erweist es sich als grosses, zeitgenössisches Musiktheater.

Foto:Monika Rittershaus/Staatsoper im Schillertheater

nächste Vorstellungen: 6./ 9./ 11./ 14./ 17.Oktober 2011