Sein oder Schein: ‚Die Liebesfälscher‘ von Abbas Kiarostami ****

Ein englischer Autor namens James Miller stellt sein neues Buch im italienischen Arezzo vor. Es geht darin um Kunst, genauer um die Bedeutung eines Original-Kunstwerkes im Verhältnis zu seiner Kopie. (Der Titel dieses Buches ist auch der Originaltitel des Films: „Copie conforme“). Unter den Zuhörern fällt besonders eine junge Frau auf, eine Französin , die einen kleinen Antiquitätenhandel im Ort betreibt und die den gutaussehenden, graumelierten Autor am nächsten Tag zunächst in ihr Geschäft einläd und dann (auf seinen Wunsch hin) einen Auto-Ausflug mit ihm unternimmt, um unter anderem über sein Buch und dessen Thesen zu diskutieren. Sie fahren durch die stahlende Frühlingslandschaft der Toscana zu einem pitoresken Ort, der besonders von Hochzeitspaaren aufgesucht wird, die sich dort trauen und unter einem traditionellen Kunst-Baum fotografieren lassen. Die beiden plaudern auf der Fahrt und bei Spaziergängen durch den Ort leicht und locker – in englicher Sprache – über Kunst, Natur und Leben, doch allmählich werden die eher unverbindlichen Gesprächen im Ton schärfer und persönlicher, es geht nun um Beziehungen, Liebe, Gefühle und deren Verletzung – und plötzlich scheinen die beiden ein altes Ehepaar zu sein, das sich getrennt hat und nun womöglich einen neuen Versuch, zusammen zu leben, starten will. Dabei ist die Frau die Hoffende und Treibende, der Mann bleibt nüchtern und abwartend. Aber:  ist das nicht nur ein Spiel, das die beiden – nun auch öfters ins Französische wechselnd – mit einander treiben? Etwa, weil die italienische Wirtin, bei der Kaffee tranken, sie für ein Paar hielt?  Wird hier ein grausames Spiel mit echten oder falschen Gefühlen getrieben oder machen sich nur zwei Intellektuelle über Schein und Sein, Wahrheit und Realität lustig?  Das Ende bleibt offen, das Rätsel nicht gelöst.
Was als heiter-romantischer Liebesfilm beginnt, wird zunehmend zwiespältiger, doppeldeutiger ohne etwas von seiner filmischen Leichtigkeit und Eleganz zu verlieren. Die schöne Oberfläche gewinnt so ganz langsam Tiefe, lässt Melancholie über Vergängliches einfliessen, lässt Sehnsucht nach verlässlichen Werten, nach Wahrheit durchschimmern oder ahnen – doch nie verstrickt sich der Film dabei in philosophische oder moralischen Thesen, sondern seine Geschichte und seine Figuren bleiben immer real, eingebunden im alltäglich-normalen Leben (Hochzeitspaare, Touristen!), geerdet im schönen Umfeld der Toscana.
Dem iranischen Regisseur Abbas Kiarostami ist ein kleines Meisterwerk gelungen – ein Film in der Tradition des grossen französisch-italienischen Kinos, Rossellinis „Viaggio in Italia“ dürfte unter anderem eines der Vorbilder gewesen sein.
Die französische Schauspielerin Juliette Binoche und der englische Opernsänger William Shimell verkörpern das gegensätzliche Paar mit grösster Natürlichkeit: sie, charmant und herzlich, aber etwas nervös, immer offen für Unerwartetes oder hoffend auf Unerhörtes, er dagegen meist nüchtern, trocken im Ton, dem Realen zugeneigt, alles Romantische bewusst negierend. Geschickt setzt Kiarostami die verschiedenen Sprachen der Handelnden (englisch, französisch, italienisch) zur Charakterisierung der Personen ein – aber die Sprache dient hier auch ironisch zur Verhüllung von Sein oder dem Entlarven von Schein, wenn beispielsweise der Autor die italienische Wirtin glauben lässt, er verstünde ihre Sprache nicht, aber dadurch genau mitbekommt, was sie über ihn sagt.
Original oder Kopie, Kunst und Leben, Täuschung oder Wahrheit, Ein- und Vieldeutigkeit –
ein Film voller Rätsel –
Rätsel, die ihr Geheimnis auf elegante und anregende Weise bewahren.

Foto/Poster: Alamode Film

zu sehen:Hackesche Höfe Kino (OmU); fsk (OmU), Cinema Paris; Capitol; Eva-Lichtspiele; Filmtheater am Friedrichshain; Passage Neukölln