Schriller Flamenco: ‚Carmen‘ in der Komischen Oper ***

Von Regisseur Sebastian Baumgarten war nach seinem diesjährigen Bayreuther „Tannhäuser“- Flopp ja einiges zu erwarten oder zu befürchten gewesen. Doch seine „Carmen“- Inszenierung in der Komischen Oper (Premiere:27.11.2011) erweist sich als durchaus unterhaltsamer Theater-Abend. Natürlich bricht Baumgarten mit allen bisherigen Konventionen, greift sogar gelegentlich in die musikalische Struktur ein, indem er beispielsweise statt der Bizet’schen Zwischenspiele eine Flamenco-Tänzerin mit ihren beiden Gitarristen auftreten lässt. Auch erzählt Baumgarten keine romantisch-eingefärbte Tragödie, sondern spielt locker mit verschiedenen Liebes- und Krimi-Geschichten, angesiedelt im maffiös-schäbigen Milieu eines Grosstadt-Slums. Nicht zufällig klebt an der linken Vorderbühne ein riesiges Filmplakat zu dem (in Barcelona spielenden) Sozialdrama „Biutiful“ (2010).
Ein wilde Mischung aus realen und surrealen Szenen, groteken Choreographien und brutal-realistischen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Personen oder Gruppen, immer wieder überflimmert von gell-bunten Video-Bildern. Carmen tritt zunächst als Voodoo-Priesterin auf, Jose und seine Kameraden sind wüste Schwarzhemden, Escamillo präsentiert sich als arroganter Macho in Lederjacke, Carmens Freunde gleichen einer schmierigen Maffia-Bande – und demgegenüber erscheint in dieser kaputten Beton-Silo-Welt Micaela als unrealistische Erscheinung im Gewand einer Kitsch-Madonna.
Sebastian Baumgarten inszeniert einen modisch-flotten, schrillen TV-Krimi, einen ‚Tatort‘ in spanischen Slums mit einigem Witz und ansehnlichem Schauwert – aber mit Bizet’s menschlich berührender Tragödie um Liebe, Freiheit, Leben und Tod hat diese Deutung wenig zu tun. Entsprechend eindimensional bleiben die Figuren, zeigen zwar eine bestimmte Haltung, aber keinen (vielschichtigen) Charakter. Das wirkt sich auch auf die sängerischen Leistungen aus: technisch gut geführte Stimmen, aber meist sehr einfarbig eingesetzt und dadurch ausdrucksarm.
Darstellerisch dagegen agieren Chor wie Solisten mit hohem körperlichem Einsatz, verleihen der Aufführung eine starke Lebendigkeit.
In der von mir besuchten (6.) Vorstellung beeindruckten besonders die schlanke, hochgewachsene Katarina Bradic als äusserst selbstbewusste, elegante Carmen mit geschmeidigem Mezzo und der walisische Tenor Timothy Richards als Don Jose – beweglich im Spiel, kraftvoll im Ton – wenn auch etwas zu gleichförmig. Die Micaela der Erika Ross wie der Escamillo des Dimitry Ivashchenko blieben – entsprechend ihrer vorgegebenen, eingeschränkten Rollendeutung (Madonna / Macho) trotz guter Stimmen blass.
Im Orchestergraben sorgte Josep Caballe-Domenech beim bestens aufgelegten Orchester für gute Stimmung und zügiges Tempo, bekam aber beim überaus freundlichen Publikums-Applaus heftige Konkurrenz durch die temperamentvolle Flamenco-Tänzerin und die beiden vorzüglichen Gitarristen.

Foto: Iko Freese/Komische Oper

nächste Vorstellungen: 04./07./13./21./27.Januar 2012