Zum Event geschrumpft: ‚Al Gran Sole Carico d’Amore‘ ***

Für „Al Gran Sole carico d’Amore“, eine ’szenische Aktion‘ von Luigi Nono (1924-1990), uraufgeführt 1975 an der Mailänder Scala, ist die Staatsoper, die zur Zeit im Schillertheater residiert, in die leerstehende Riesenhalle des Kraftwerks Mitte an der Köpenickerstrasse gezogen. Fast 1000 Zuschauer finden auf einer ansteigenden Tribüne Platz, davor ein grosser Orchesterbereich, dahinter eine sehr breite, offene Bühne, vorn eine längliche, museumstaugliche  Glasvitrine, dahinter reihen sich nebeneinander mehrere kleine, wabenartige Räume: historisch- möblierte Zimmerkulissen, in denen die Hauptfiguren der Geschichte wohnen und gleichzeitig von umherwieselnden Kameramännern gefilmt werden, deren Video-Bilder dann auf einer schruntigen Leinwand in Cinemascop-Format hoch über den Köpfen der Bühnenfiguren ablaufen.
„Al Gran Sole Carico d’Amore“, was frei übersetzt „Mit Liebe beladen der Sonne entgegen“ bedeutet und einem französischen Gedicht von Arthur Rimbaud entstammt, ist eine von Nono selbst collagierte Geschichte der Revolution, gesehen aus dem Blickwinkel beteiligter Frauen.
Dabei rücken fünf weibliche Gestalten, teils historische, teils fiktive, in den Mittelpunkt des Librettos: die Französin Louise Michel, die die Tage der Pariser Commune von 1871 erlebte; die (angebliche) Gefährtin von Che Guevara, Tania Bunke;  die „Mutter“ aus dem gleichnamigen Roman von Gorki ; eine Arbeiterin aus Turin, die an den blutigen Streik-Aktionen um die Fiat-Werke in den 1950er Jahren beteiligt war sowie die Prostituierte Deola, die in einem Gedicht von Cesare Pavese besungen wird.
Doch diese Frauen sind – in der Aufführung – stumme Personen in den Zimmerchen, sie kochen Suppe,  waschen Wäsche, färben rote Tücher oder verstecken Revolver und revolutionäre Aufrufe. Die Texte, meist kurze Verse oder Sentenzen von Marx und Lenin, Brecht, Gorki, Pavese u.a., umreisen die angedeutete Etappen der Revolutionsgeschichte von den Tagen der Commune bis zum Vietnamkrieg  – und werden von sechs Sängerinnen und vier Sängern vorgetragen, die in Abendgarderobe die Devotionalien in der Glasvitrine bestaunen oder ihre Losungen und Kommentare singend per Mikrofon verkünden. Eine klare, nacherzählbare Handlung wird so bewusst vermieden, alles bleibt Hinweis und Andeutung.
Dieses so geschilderte szenische Arrangement mit den stummen Darstellerinnen in historischen Posen und ihre ‚altmodisch‘ eingfärbten Videobilder sind im Libretto nicht vorgeschrieben – sondern die Erfindung eines Teams um die britische Regisseurin Katie Mitchell.   Den Chor, der textlich eine zentrale Rolle spielt,  hat sie auf der rechten Seitenbühne fest postiert, dort erledigt er seinen schwierigen musikalischen Part mal im Stehen, mal im Sitzen : die rote Nelke im Knopfloch und an entsprechender Text-Stelle auch mal die Faust reckend.
So konzentriert sich die Hauptaufmerksamkeit des Zuschauers auf die gefilmten Mini-Szenen auf der Gross-Leinwand und die Musik gerät unfreiwillig in die Rolle eines untermalenden Klangteppichs – als szenischer Einfall ist das optisch hübsch und gefällig, aber auch hart am Rand des kunstgewerblichen Kitsches.
Dabei hat die Musik von Luigi Nono – im Gegensatz zum altmodisch gewordenen, museumsreifen  Agitprop des Librettos – nichts von ihrer Kraft und Faszination verloren. Ob schmetternd dazwischenfahrende Posaunen-Chöre, lautstarke Schlagwerke oder sich in fast mysthische Höhen emporschraubende, hauchzarte Sopran-Klänge – Nonos Musik erweist sich als hochexpressiv und genuin dramatisch.
Ein exzellentes Sängerensemble und der hervorragend einstudierte Chor bewältigen ihre oft heiklen Partien bewundernswert, das riesig besetzte Orchester (ein Teil auf der linken Seitenbühne) spielt klangvoll und trennscharf zugleich – und Ingo Metzmacher koodiniert den aufwendigen musikalischen Apparat mit grosser Ruhe und einer fast lässig wirkenden Sicherheit – eine enorme und überragende Leistung.
Ein aufwendig beworbener Abend, einer grossdimensionierte Produktion – doch mit zwiespältigem Ergebnis: museal gewordene „linke Lyrik“, ein dem Mainstream allzu angepasstes Szenen-Arrangement, aber eine grandiose, dramatische Musik.

Foto:Monika Rittershaus/Staatsoper

nächste Vorstellungen: 3./ 5./ 9./ 11.März 2012