Schuld und Sühne: ‚Die Dorfschule/Das Opfer‘ (konzertant) in der Deutschen Oper Berlin***

In ihrer Serie historischer Ausgrabungen stellte die Deutsche Oper zwei (fast) unbekannte Einakter vor: „Die Dorfschule“ des damals hochberühmten Dirigenten Felix von Weingartner (geschrieben 1918) und „Gisei-Das Opfer“ des jungen Carl Orff (verfasst 1913). Beide – voneinander unabhängig komponierten – Werke beruhen auf der selben literarischen Vorlage: dem japanischen Kabuki-Drama „Terakoya“ (dt. Die Tempelschule) aus dem 18.Jahrhundert.
Ein Ursupator hat das Land besetzt, der letzte Abkömmling des ermordeten Herrscher-Clans, ein Kind, wird von einem treuen Paar in einer dörflichen Tempelschule versteckt. Doch der Ritter Matsuo, der den Umsturz unterstützt und das Versteck des Erben verraten hat, sühnt seine böse Tat dadurch, dass er statt des verfolgten Kindes sein eigenes den Häschern unterschiebt und ermorden lässt – um so seine verlorene Samurai-Ehre und Vassallen-Treue zu sühnen.
Felix von Weingartner hat die – für heutige Verhältnisse – seltsame Story zur moralisch-psychologisierenden Kurz-Oper (knapp eine Stunde) umgeformt – in aufrauschden- spätromantischen Klanggewand. Carl Orff komponierte ein symbolistisches Drama, musikalisch ganz im Stil von Debussys „Pelleas“ – angereichert um einige aparte, ‚trockene‘ Intrumental-Einschübe. (Nach seinem Erfolg mit den „Carmina Burana“ hat Orff allerdings sein Jugendwerk verworfen.)
Beide Einakter spiegeln den Zeitgeist und die musikalische Welt vor dem 1. Weltkrieg, Weingartner flüssig, elegant und raffiniert, Orff noch tastend zwischen Spätromantik und Impressionismus – wobei beide ausschliesslich dem stimmlichen Wohlklang huldigen.
Der Franco-Kanadier Jacques Lacombe dirigiert das Orchester der Deutschen Oper engagiert und behutsam durch die beiden klangsatten Partituren, lässt auch instrumentale Feinheiten farbig leuchten (Kontra-Fagott, Glasharmonika). Vorzüglich die Gesangs-Solisten: eine gelungene Mischung aus Mitgliedern des Stamm-Ensembles und Stipendiaten der Opera Fondation, darunter Markus Brück, Ulrike Helzel, Clemens Bieber, Fionnuala McCarthy und Elena Zhidkova.
Zwei Einakter, beide unter musikalischen Gesichtspunkten „aus zweiter Hand“, und nicht unbedingt repertoire-tauglich, aber als interessante Beispiele der Opern-Welt vor dem 1.Weltkrieg, in der Tradition und Aufbruch aufeinandertrafen, durchaus hörenswert.

Einmalige Aufführung am 19.Mai 2012

Fotos: Felix von Weingartner (1914, Nicola Perscheid;oben); Carl Orff (1911, Meginrunar; unten)