Wie fromm war Händel? – Die Festspiele in Halle 2012

Ein Motto muss wohl sein – und so überschreiben die diesjährigen Händel-Festspiele ihre zahlreichen Veranstaltungen zwischen dem 31. Mai und dem 10.Juni mit dem recht vagen Titel „Händel und die Konfessionen“. Die nach wie vor populäre Margot Kässmann, inzwischen Botschafterin der Evangelischen Kirche für das Reformations-Jubiläum 2017, übernimmt deshalb die Schirmherrschaft; ausserdem ermöglicht das fromme Motto der Festspiel-Leitung, auch in den benachbarten Luther-Städten Eisleben und Wittenberg den in Halle geborenen Komponisten zu präsentieren.
Wie immer steht zu Beginn der umfangreichen Veranstaltungsreihe, die die unterschiedlichsten Genres umfasst, eine Ko-Produktion des Festivals mit der heimischen Oper:  in diesem Jahr „Alcina“, uraufgeführt in London 1735.
Diese Alcina ist eine attraktive Zauberin, die auf einer exotischen Insel lebt und die ihre abgelegten Liebhaber in Pflanzen oder Tiere verwandeln kann – bis sie sich eines Tages in den attraktiven Ritter Ruggiero leidenschaftlich verliebt. Doch Ruggieros Ex-Verlobte, die mit tatkräftigem Begleiter anreist, macht Alcina den hübschen Ritter streitig und gewinnt ihn mit einigen Tricks für sich zurück – die Zauberin verliert ihre Macht, bleibt allein und verzweifelt auf der Insel zurück.
Berhard Forck und das Händelfestspielorchester mischen die wilde Geschichte munter auf, musizieren flott und feinstimmig zugleich, und der Hallenser Opern-Liebling Romelia Lichtenstein ist eine fabelhaft-dramatische Alcina – eine zunächst temperamentvolle Circe und dann ohnmächtig-verlassene Liebeszauberin. Leider verzettelt sich das Regie-Team um Andrej Woron in kritisch gemeintem (Kolonialismus!) Südsee-Bühnen-Plunder mit flachem Swimming-Pool, Plastik-Palmen und albernen (Schein-)Folkore-Ritualen. Buhs für den Regisseur, verdiente Bravos für die Musiker und Sänger.
Im kleinen historischen Goethe-Theater im nahen Bad Lauchstädt kommt – dem Festival-Motto entsprechend – Händels Oster-Oratorium „La Resurrezione“ zu einer szenischen Aufführung. Das 1708 in Rom erstmals gespielte Werk (im Palast eines Kardinals) rahmt den gedankenreichen Gang der beiden Marien (Kleophas und Magdalena) und des Jüngers Johannes zum (leeren) Grab Jesu‘ mit einem heftigen Disput zwischen einem Engel und dem Teufel über den Sieg und die Verbreitung des christlichen Glaubens: eine barock-ausladende Allegorie der katholischen Gegenreformation. Wolfgang Katschner und seine Berliner Lautten Compagney begeistern auch diesesmal durch ihr farbig aufgefächertes und instrumental fein abgestimmten Aus-Musizieren von Händels jugendlich-pompöser Musik. Die Sänger bieten solides Mittelmass. Regisseur Kobie van Rensburg verblüfft im ersten Teil durch effektvolle Video-Tricks, im zweiten Teil langweilt er mit abstrakt-symbolischen Peronen- und Gruppen-Arragements, gipfelnd in einem stummen Abendmahls-Bild: pseudo-religiöser, modischer Kitsch.  Das Publikum allerdings war begeistert.
Beide Produktionen zeigen die Überlegenheit der musikalischen Darstellung gegenüber einer szenischen Verlebendigung – triumphiert der (traditionelle) Konzertsaal über die Bühne ?

Foto: Händel-Festspiele Halle