Jahrmarktszauber: ‚Rappresentatione di anima e di corpo‘ im Schillertheater (Staatsoper) ****

Eine weitoffene Bühne, zwischen Orchestergraben und den ersten Parkettreihen bleibt nur ein schmaler Spalt aus dem (in der Mitte) Kopf, Arme und Rücken des Dirigenten Rene Jacobs ragt, rechts und links der nach hinten ansteigenden Spielfläche sitzen Musiker, Sänger, Tänzer in langen,schwarzen Mänteln und dunklen Hüten, eine Disco-Kugel hängt über allem und verbindet Bühne und Zuscherraum mit bunten, kreiselnden Lichtpunkten – das Schillertheater wird zur barocken Disco.
„Rappresentatione di anima e di corpo“ (Das Spiel von Seele und Körper) des italienischen Komponisten Emilio De’Cavalieri, um 1600 in Rom uraufgeführt, ist eine Art Oratorium, in dem allegorische Figuren über die schöne, aber sündige Welt und das Heil der Seelen im christlichen Himmel disputieren – eine kleines Welttheater der Gegenreformation.
Musikalisch ansprechend, in einem ariosen, rezitativischen (Gesangs-)Stil, im Rhythmus sehr tänzerisch, aber alles ohne allzu virtuose Ausschmückung. Von Rene Jacobs und den Musikern der ‚Akademie für Alte Musik‘ auf historischen Instrumenten schwungvoll und delikat gespielt. Vom Staatsopernchor in klangschönen Madrigalen kommentiert und einem klug zusammengestellten Solisten-Ensemble prächtig gesungen, allen voran die französisch-schweizerische Mezzo-Sopranistin Marie-Claude Chappuis als Anima und der norwegische Bariton Johannes Weisser in der Rolles des Corpo.
Doch trotz dieser hohen musikalischen Qualitäten verdankt der Abend seine theatralische Attraktion der szenischen Umsetzung durch den Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Achim Freyer und seinem Pantomimen- und Bewegungs-Ensemble. Freyer möbelt das handlungsarme und gedankenbefrachtete christliche Erbauungs-Stück mit seiner schon vielfach bewährten, fast überbordenden Raum- und Spiel-Fantasie äusserst effektvoll auf. Totenköpfe, Knochenmänner, ein blaues Pferd, ein weisser Hase, Figuren ohne Gesicht, aber mit hohen, spitzen Mützen, Schwarzgewandete, die mit ihren weissen Baumwoll-Handschuhen seltsame Zeichen geben, zwei sprechende und singende Knaben mit Riesen-Zylinder, Anima im weissen Gewand und Blumen streuend, Corpo durchbohrt von roten Stäben wie ein profaner ‚Heiliger Sebastian‘, farbige Nebelschwaden, bunt-flackernde Wander-Lichter und im Bühnenhintergrund – durch einen schwarzen Schleier fast verborgen – ein zart tönendes, „himmlisches“ Fern-Orchester – Mysterienspiel und Zaubertheater zwischen Surrealismus und Groteske.
Achim Freyers – von Manierismus und Kunstgewerbe nicht ganz freie – aber phantasievolle Bühnenkunst sowie der musikalische Drive von Rene Jacobs und dem fabelhaften Ensemble machen aus dem über vierhundertjährigen, religiösen Opern-Oratorium einen ebenso kurzen (anderthalb Stunden ohne Pause) wie kurzweiligen Theaterabend.

Foto: Hermann und Clärchen Baus/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen:10./13./15./17.Juni 2012