Suppe mit Wodka: ‚Lehrstück‘ in der Schiller-Werkstatt (Staatsoper) **

Die Schiller-Werkstatt ist diesmal als Kantine eingerichtet: mit grösseren und kleineren Tischen, einer Kochecke mit Theke, an der sich Jeder-mann/frau ein Teller Suppe, einen Pott Kaffee oder ein Gläschen Wodka abholen kann (kostenlos!). An der einen Längsseite des Raums das Riesenfoto eines gekenterten Luxus-Liners, vor der gegenüberliegenden, sperrholzgetäfelten Wand haben sich ein paar Musiker und deren Dirigent (David R.Coleman) aufgestellt. Zwischen dem Publikum sitzen an jedem Tisch (in Freizeitkleidung) einige Chor-Mitglieder, erkenntlich an bandagierten Körperteilen: sie singen Lehrhaftes,  rezitieren Thesen über Kunst und Soziales, erzählen eigene Lebensgeschichten (alles per auf dem Tisch liegenden Mikrofonen)  – oder holen sich zwischendurch Suppe.
1929 haben Bertold Brecht und Paul Hindemith ihr kleines „Lehrstück“ in Baden-Baden zur Uraufführung gebracht. Clou der Produktion:  alles kann und darf jederzeit (rsp.in jeder nachfolgenden Aufführung) abgewandelt oder geändert werden. Auch soll es keine Trennung zwischen Mitwirkenden und Publikum geben und ausserdem soll letzteres nach Möglichkeit mitspielen.
Die zugrunde liegende Story ist simpel: ein Pilot ist abgestürzt und bittet um Hilfe. Doch die Gebetenen lehnen ab, denn der Pilot ist an seinem Unglück selbst schuld. Aber: wer hat dabei recht?
1929 dauerte dieses ‚Lehrstück‘-chen gerade mal 30 Minuten. Dank der offenen Form hat der Regisseur Michael von zur Mühlen die Spieldauer in der Suppenküchen-Werkstatt verdreifacht. Die (eher spröde) Musik von Hindemith spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle, stattdessen wird viel über aktuelle Sozial-Befindlichkeiten in getragenem Opern-Bühnen-Deutsch aufgesagt, untermalt von heftigem Gestikulieren und Agitieren der Zuschauer zum Mitmachen. Doch wie immer bei solchen Studenten-Theater-Gepflogenheiten: ein Teil des Publikum schüttelt den Kopf, ein anderer stimmt begeistert ein. So auch in diesem Fall.
Klar, auch Scherz, Satire und (Selbst?-)Ironie sind gelegentlich eingeflochten in das quirlige Kantinenleben, doch so richtig zünden wollen die Spässchen nie. Als jammernder, abgestürzter Pilot (oder Kapitän?) darf Staatsopern-Tenor Reiner Goldberg ein wenig „Lohengrin“ oder „Siegfried“ zitieren, während der Bariton Nicholas Isherwood im Küchenchef-Dress hauptsächlich den Schnaps verteilen muss. Chor und Musiker singen und spielen bei dem allgemeinen Hin-und Her in dieser Suppenküche erstaunlich präzise.
Ob sich die Ausgrabung dieses vorgestrigen Thesen-Theaters gelohnt hat, bleibt offen. Immerhin: die Suppe war gut und der Wodka floss reichlich.

Foto: (c) www.thepaulgreen.com/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 17./23./24.Juni 2012