Kein Sommernachtstraum: ‚Don Giovanni‘ in der Staatsoper im Schillertheater****

Zunächst stand dieser neue, dritte „Don Giovanni“, den Daniel Barenboim seit seinem Amtsantritt als Generalmusikdirektor der Staatsoper unter den Linden jetzt in Koproduktion mit der Mailänder Scala herausbringen wollte, unter keinem glücklichen Stern. Erst zog der vorgesehene Regisseur (Robert Carsen) seine Zusage zurück, dann sagte die hochumworbene Primadonna (Anna Netrebko) ab. Als Ersatz wurde – dank der alten Kontakte des Staatsopernintendanten Jürgen Flimm zu den Salzburger Festspielen  – eine Produktion von dort aus dem Jahr 2008 – die  an der Salzach abgelaufen und bereits im Fernsehn zu sehen war und die auch auf DVD zu erhalten ist -  eingekauft. Doch trotz solch unglücklicher Umstände: der Abend wurde ein voller Erfolg.
Regisseur Claus Guth verlegt die Geschichte des Don Giovanni ins Heute und in einen düsteren Wald: die Drehbühne wird von gewaltigen Tannen-Baum-Stämmen beherrscht mit riesigen Wurzeln, Felsenbrocken und moosbezogenen Mulden (Bühne / Kostüm: Christian Schmidt). In dieser finsteren Gegend wird Giovanni bei seiner tätlichen Auseinandersetzung mit dem Komtur von diesem durch einen Revolverschuss lebensgefährlich verletzt und alles weitere Geschehen entwickelt sich als Wettlauf Giovannis mit dem Tod. Stationen auf diesem schmerzensreichen Weg sind die erotischen Begegnungen mit den drei Frauen: der zwischen ihrer Bindung an den Verlobten und der sexuellen Lust auf Giovanni schwankenden Anna, der verlassenen, bis ins Hysterische frustrierten Elvira und der naiv mit ihrer erotischen Ausstrahlung spielenden Zerlina. Am Schluss verhüllt dichter Nebel die Baum-Kronen, der quirlige Leporello, der bisher mit Spritzen und aufmunternden Worten seinen sterbenden Herrn  eifrig gepflegt hat, ist am Ende seiner Kunst und der Komtur erscheint nun zwischen den Bäumen in schemenhafter Gestalt eines Totengräbers mit Spaten: der nochmals sich aufbäumende Giovanni sinkt in eine Moosgrube – Black out!
Auf das finale Sextett wird in dieser Aufführung verzichtet – eine moralische Lehre wäre hier Fehlanzeige. (Musikalisch bleibt diese Lösung allerdings unbefriedigend: als ob die Oper auf dem ‚vorletzten Ton‘ ende!).
Als Dirigent lässt sich Daniel Barenboim ganz auf diese Deutung ein. Nach einem etwas flauen Beginn (Ouvertüre) betont er mit grosser Verve die dramatischen Seiten der Partitur bis hin zu den ins Hoch-Romantische gesteigerten Finali, getragen von den dunkel-glühenden Farben der gross besetzten Staatskapelle. Als Giovanni betont Christopher Maltman mehr den Schmerzensmann und Getrieben – als erotischer Verführer bleibt er eher blass. In dieser Hinsicht hat der Leporello von Erwin Schrott sehr viel mehr zu bieten, dazu einen kernigen Bass-Bariton und viel bösen Witz. Maria Bengtsson als Anna ist eine hübsche Hollywood-Blondine, der man ihr sexuelles Temperament ohne weiteres glaubt – gesanglich durch schönes Legato und kraftvolle Spitzentöne beglaubigt. Ihr Verlobter Ottavio dagegen, Giuseppe Filianoti,  ist eine Fehlbesetzung: angestrengt in den Höhen und ohne inneren Ausdruck. Hinreissend die Elvira von Dorothea Röschmann: eine temperamentvolle, ins Komisch-Groteske gesteigerte Sex-Zicke, die vital bis an die Grenzen ihre Stimme geht. Wunderbar innig in ihrem Mozart-Gesang und zugleich von flirrender Koketterie: die Zerlina von Anna Prohaska. Der Slowene Stefan Kocan als Massetto im Smoking und der ukrainische Bass Alexander Tsymbalyuk in der Rolle des erschlagenen und als Totengräber wiederkehrenden Komturs ergänzen das gut ausgewählte Ensemble.
Mozarts „Don Giovanni“ :  halb böse Sommernachts-Sex-Komödie, halb psychisch-abgründige Wolfsschlucht – ob dieses Konzept dem vielschichtigen ‚Drama giocoso‘ gerecht wird, bleibt offen. Unbestritten jedoch: musikalisch wie szenisch ist der Abend in sich äusserst stimmig, sehr effektvoll und richtig spannend.

Foto: Monika Rittershaus/Staatsoper Berlin

nächste Vorstellungen: 27./30.Juni//03./06.Juli 2012 (alle ausverkauft)