Extase am Kletter-Felsen: ‚Parsifal‘ in der Deutschen Oper Berlin ***

Eine Jubiläums-Inszenierung sollte es werden  -  zum 100. Geburtstag des Charlottenburger Opernhauses, das einst pünktlich zur Freigabe des „Parsifal“ dieses letzte Werk Richard Wagners am 1.Januar 1914 erstmals in Berlin vorgestellt hat. (Bis dahin durfte ‚Parsifal‘ nur im Bayreuther Festspielhaus  aufgeführt werden).
Gleichzeitig ist diese Neueinstudierung die erste Gross-Produktion des neuen Leitungs-Teams der heutigen Nachfolgerin an der Bismarkstrasse, der ‚Deutschen Oper‘, auf der in den letzten Jahren technisch-renovierten Bühne.
Der dafür engagierte Regisseur Philipp Stölzl hat bereits mit „Rienzi“ vor 3 Jahren an gleicher Stelle einen beachtlichen Erfolg erzielte. Von Hause aus ist er ursprünglich Designer, Bühnenausstatter, Werbe- und Videoclip-Filmer. Und auch für den neuen „Parsifal“ entwarf er das alle Akte prägende (Einheits-)Bühnenbild: eine wilde Felsen-Landschaft mit schruntigem Boden, steilen Aufstiegen und hohen Plataus. Deutlich aus Pappmasche und von weissen Neon-Röhren – meist schwach – beleuchtet. Die Gralsritter sind eine ekstatische Büsser-Sekte, die in mittelalterlichen Kutten sich mit Peitschen geiselnd durch Felsenspalten drängt oder ihren leidenden Ober-Guru Amfortas in einer Felsen-Nische deutlich sichtbar heil-badet. Der von dieser Sekte abgefallene Klingsor ist dagegen zu einem Azteken-Priester mutiert, der offensichtlich Menschenopfer-Rituale pflegt. Was Wunder, dass Parsifal im modernen Büro-Anzug mit korrekt sitzender Krawatte etwas unbeholfen und deplaziert zwischen diesen seltsamen Sektierern herumirrt.
Doch damit er – und auch das Publikum im Zuschauerraum -  die seltsame Religions-Gemeinschaft richtig verstehen, werden immer wieder ‚lebende Bilder‘ eingeblendet, die Szenen aus der Vergangenheit darstellen – angefangen (während des langen Vorspiels) mit der Kreuzigung und dem Tod Christi‘, wie seine Leiche danach mit einer Lanze durchbohrt und wie ein Jünger das austropfende Blut in einem Kelch auffängt. Und Lanze und Kelch so zu Reliquien der Gralsgemeinschaft werden.
„Parsifal“ als schillernde Bilderfolge zwischen Oberammergau und kritischer Beleuchtung christlich-religiöser Auswüchse – mal in klug beobachten Details (die Charakterisierung der Kundry), mal in effektvollen, aber kunstgewerblichen Arrangements (Blumenmädchen, die sich geiselnden Rittermassen). Das Ergebnis, gedanklich kaum originell, ist zwiespältig.
Musik-Chef Donald Runnicles leitet umsichtig das bestens aufgelegte Orchester der Deutschen Oper:  bevorzugt rasche Tempi,  sorgt für einen satten, aber durchsichtigen Klang, bleibt immer souverän in der Koordination von Bühne und Orchester. Die Delikatesse seines „Tristan“ erreicht er hier allerdings nicht.
Der Chor unter William Spaulding klingt je nach Situation wuchtig oder ätherisch, hat gelegentlich aber (akustische) Schwierigkeiten beim Kraxeln auf den Felsen.
Von den Sängern gebührt die Palme dem altbewährten Matti Salminen: immer noch ein Gurnemanz von grosser Eindringlichkeit und Ausdruckskraft. Der gefeierte Klaus Florian Vogt überzeugt als Parsifal durch seine knabenhaft, helle Tenorstimme, bleibt aber darstellerisch etwas blass. Eindrucksvoll: Evelyn Herlitzius – eine schlanke Kundry in schwarzem Chiffon, mit zwar reifem, aber klug gestaltendem Sopran. Solide ergänzen Alejandro Marco-Buhrmester (Amfortas), Thomas Jesatko (Klingsor)und Albert Pesendorfer (Titurel) das Solisten-Ensemble.
Am Ende wird der saloppe Parsifal – nun im dunklen Anzug – zum neuen Gralshüter gekrönt, Amfortas aber tötet sich – im Gegensatz zum Original – selbst mit der heiligen Lanze, während Kundry am Leben bleibt und in der Menge verschwindet :  von der hehren Glaubens- zur fundamentalen Sektierer-Gemeinschaft, so präsentiert sich Wagners ‚Bühnenweihfestspiel‘ heute nach 100 Jahren  -  in Charlottenburg!

Poster/Foto: c.Stan Hema/Deutsch Oper Berlin

nächste Vorstellungen: 28.Oktober/ 4.November 2012