Märchenhaft-schillernder Überlebenskampf. ‚Life of Pi‘ von Ang Lee****

Die opulent-fantastische Verfilmung des Erfolgromans „Schiffbruch mit Tiger“ (2001) des kanadischen Autors Yann Martel.
Im indischen Pondicherry geht in den 1950er Jahren der zoologische Garten Pleite. Der Direktor beschliesst auszuwandern und schifft sich mit seiner Familie und einigen kostbaren Tieren nach Kanada ein. Sturm und Schiffbruch: nur der 17jährige Sohn Pi (der seinen Namen geschickt von der gleichlautenden, griechischen Zahl ableitet, obwohl er ursprünglich – in Erinnerung an einen exzentrischen Onkel – eine Abkürzung des französische Wortes ‚Piscine‘ (Schwimmbad) bedeutete) überlebt in einem Rettungsboot – unfreiwillig zusammen mit einem Zebra, einer Hyäne, einem Orang Utang und einem bengalische Tiger namens „Richard Parker“. Über 200 Tage verbringt Pi in der Einsamkeit des endlosen Meeres – nachdem Hyäne, Zebra und Orang Utang schon bald Opfer ihres eigenen Überlebensinstinkts werden. Pi bastelt sich ein kleines Beiboot-Floss und rettet sich so vor dem fauchenden Tiger, der einerseits sein Feind ist und bleibt, der aber andererseits zum Anreiz und Motiv für seinen Überlebenwillen wird.
Pi durchsteht so eine harte, aber fantastische Reise durch einen schier erhabenen Kosmos: mit sternenglänzenden Nachthimmeln, magisch leuchtenen Meeresfächen, wild springenden Walen, fliegenden Fischen und einer gefährlich-schillernden, von Tausenden von kleinen Erdhörnchen bevölkerten, schwimmenden Insel. Als er endlich total erschöpft an der mexikanischen Küste landet, verschwindet der Tiger im Urwald, Pi wird gerettet, aber niemand glaubt ihm seine
Geschichte.
Regisseur Ang Lee („Tiger and Dragon“, „Brokeback Montain“) ummantelt dieses grosse Abenteuer auf dem Ozean mit einer  – leider allzu breit ausgespielten – Rahmen-Handlung, die seine Kern-Anliegen verdeutlichen sollen: Probleme des Glaubens und des Erzählens.
Der erwachsene, mit Frau und Kindern heute in Kanada lebende Pi berichtet einem jungen Schriftsteller, der sich in einer Schreibblockade befindet und nach neuen Stoffen sucht, seine Lebensgeschichte – in filmischen Rückblenden.
Zunächst (in wunderbaren, leuchtenden Farben gedreht) seine Jugend in Indien, seine Suche nach dem Sinn des Lebens und einem wahren Glauben zwischen Hinduismus, Christentum und Islam. Dann den Schiffbruch mit Tiger, der etwa Zwei-Drittel des über zwei Stunden langen Films ausfüllt, – allein im Kosmos, unter weitem, mal klarem, mal stürmischem Himmel: welchen Sinn, welche Bedeutung hat hier der Glaube und ist er notwendig?
Im Epilog bietet der ewachsene Pi dem zunächst ungläubigen Schriftsteller eine zweite Variante der Geschichte vom Schiffbruch an (ohne Rückblende, nur berichtet), in welcher er mit seiner sanften Mutter und dem brutalen Schiffs-Koch (der zuvor alle Passagiere tyrannisierte)  im rettenden Beiboot landete. Welche Version ist nun Wahrheit,  welche Fiktion?  Will sagen: was ist Realität, was Film-Erzählung?
Vielleicht hat der Regisseur durch diese ausschweifenden Rahmenhandlungen seine gedanklichen Absichten allzu deutlich und vereinfachend in Szene gesetzt. Grandios dagegen ist die film-künstlerische Umsetzung von Pi’s Reise mit dem Tiger über den Ozean – Kamera, Schnitt, Ton sowie raffinierte, digital-technische Tricks vereinen sich zu virtuosen, fantastischen Bild-Sequenzen von selten gesehener Schönheit und filmischer Magie. Sicherlich wird bei der bevorstehenden Nominierung auch die Oscar-Jury dies bemerken.

Poster-Foto/Verleih: Fox Deutschland

Bitte beachten: Der Film wurde im 3D-Verfahren gedreht, ist aber in manchen Berliner Kinos im normalen 2D zu sehen:
CineStar Sony Center (OV); Hackesche Höfe (OmU); Filmtheater am Friedrichshain (OmU); Odeon (OmU); Rollberg (OmU); International (OmU); Adria; Delphi; CinemaxX Potsdamer Platz; Cubix Alexanderplatz; CineStar Tegel; Kulturbrauerei; Spreehöfe; UCI Eastgate; Colosseum; Gropius-Passagen; Yorck; Cineplex Spandau; Filmpalast Treptower Park; Blauer Stern Pankow; Cineplex Neukölln Arcaden u.a.