Idealist und Realpolitiker: ‚Lincoln‘ von Steven Spielberg****

Washington, Januar 1865. Der amerikanische Bürgerkrieg dauert schon vier Jahre, der Süden steht kurz vor der Kapitulation, aber auch der Norden ist erschöpft. Doch der im Jahr zuvor wiedergewählte Präsident Abraham Lincoln zögert einen Friedensabschluss hinaus, um davor noch über den 13.Verfassungs-Zusatz-Artikel im Kongress abstimmen zu lassen: denn dieser be-inhaltet die (juristisch bindende) Abschaffung der Sklaverei – dem Kriegs-Ziel der Nordstaaten. Noch fehlen einige Stimmen. Lincoln und seine engeren Parteifreunde versuchen mit legalen und illegalen Mitteln und allerlei Tricks diese fehlenden Stimmen zu ‚kaufen‘. Was dann auch gelingt. Ein paar Wochen später wird Lincoln bei einem Theaterbesuch von einem Attentäter erschossen.
Steven Spielberg hat sich in seinem Bio-Pic über den legendären US-Präsidenten auf diese letzten Wochen konzentriert. Er schildert – dramaturgisch äusserst klug – wie Lincoln versucht, seine moralisch begründete Absicht, die Sklaverei abzuschaffen, im harten und nicht immer sauberen politischen Alltags-Kampf durchzusetzen. Dabei geht es nicht nur um vorhersehbare Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen den beiden Parteien, den fortschrittlichen Republikanen und den konservativen Demokraten,  sondern auch um solche im privaten Bereich – gegenüber seiner willensstarken Frau Mary oder seinem aufbegehrenden Sohn Robert.
Spielberg und sein versierter Drehbuchautor Tony Kushner zeigen einerseits ein breit angelegtes, in dunkeln Farben glühendes Geschichts-Panorama, andererseits verstehen sie es, in der historischen Vergangenheit – die nicht ins Patriotische glorifiziert wird – die aktuelle, politische Gegenwart zu spiegeln. Handlungs-Motivationen und psychologischen Bedingungen in der Politik von einst und jetzt scheinen vergleichbar.
Und das alles in grandiosen Bildern, geschliffenen Dialogen, eleganter Ausstattung und einem exzellenten Darstellerensemble, überragt von Daniel Day-Lewis in der Titelrolle. Der irisch-stämmige Oscar-Preisdräger (‚My left feet‘, ‚There Will Be Blood‘) verkörpert mit umwerfender Präsenz einen kantig-besonnenen Mann, der sich nur selten (und dann im privaten Bereich) aus der Ruhe bringen lässt. Der viel und gern fabuliert und mit leisem Humor Anekdoten erzählt. Ein auch körperlich grosser Mann mit heller Stimme und hohem moralischem Anspruch, der sich aber fragen lassen muss, ob ein (noch so guter) Zweck die (bösen) Mittel heiligt.
Bewundernswert an Spielbergs 150 Minuten langem Historien-Drama ist nicht die nur die differenzierte Darstellung eines der bedeutendsten US-Präsidenten, seiner Gedankenwelt und seines politischen Umfelds, sondern vor allem, dass es ihm gelang, daraus einen ebenso intelligenten wie spannenden Polit-Thriller zu entwickeln.

Poster/Verleih: Fox Deutschland

zu sehen: CineStar Sony Center (OV); Hackesche Höfe Kino (OmU); Rollberg (OmU); CinemaxX Potsdamer Platz; Titania Palast Steglitz; Cubix Alexanderplatz; CineStar Sony Center; CineStar Tegel, Filmkunst 66; Filmtheater am Friedrichshain; Kulturbrauerei, Neues Off