Designer-Chic: ‚Hänsel und Gretel‘ in der Komischen Oper***

Meist wird Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ in der Weihnachtszeit auf den Spielplan gesetzt, obwohl die Geschichte von den im Wald verirrten Kinder eindeutig im Sommer spielt. Jetzt wird das populäre Stück erstmals in der Komischen Oper inszeniert, zu Beginn der Karwoche – und das dann tatsächlich ostereier-bunt.
Statt Lebkuchen und Mandelkern – Lollipops und Erdbeeren, teils in flimmernden Video-Clips, teils in täuschend echter Plastik. Der Wald besteht aus silber-glitzerndem Riesen-Besteck – nämlich sich aus dem Bühnenhimmel herabsenkenden Löffeln, Messern und Gabeln – , das Hexenhaus ist eine kreiselnde Tortenschachtel – obendrauf posiert die Hexe im grünen Pailletten-Anzug und rotem Federbusch auf dem kahlen Kopf – so als ob sie direkt aus dem Friedrichstadt-Palast herüber käme.
Auch sonst sind die Show-Anklänge nicht zu übersehen: Hänsel und Gretel tragen unisex, schicke, weisse Anzüge und rappen gekonnt zu ihren ‚Folk-Songs‘ („Suse, liebe Suse“, „Brüderchen, komm tanz mit mit“), der Vater radelt elegant auf altmodischem Drei-Rad in die weisse Designer-Stube, und nach dem Abendsegen erscheinen die 14 Engel als in weiten Röcken kreisselnde Derwische, die am Ende keck ihre strammen Popos präsentieren – natürlich mit knallroten Unterhosen bedeckt (da ja der Vorstellungsbesuch ab 6 Jahren empfohlen wird)!
Neu-Regisseur Reinhard von der Tannen ist eigentlich ein berühmter Bühnenbildner und Ausstatter, der einst Wespen in der Deutschen Oper (Nabucco) oder Ratten in Bayreuth (Lohengrin) tanzen liess, und der auch jetzt Hänsel und Gretel mit langen Häschen-Ohren schmückt oder der Hexe ein Lurch-Gesicht schminkt  – aber den giftigen Stachel, der einst das Publikum so irritierte, den hat er diesmal völlig unterschlagen. Zwar wird im Programmheft noch von allerlei unschönen Dingen wie Armut, Hunger oder Angst in schönster Dramaturgen-Lyrik philosophiert, aber auf der Bühne sieht man davon nichts – nur modisch-schickes Design und TV-taugliche Tanzschritte.
Gewichtiger geht’s da im Orchestergraben zur Sache: die aus Estland stammende, neue Dirigentin Kristiina Poska lässt die wagner-gesättigten Klangwolken flott emporwallen – wenn auch etwas ungezügelt laut. Theresa Kronthaler (Hänsel) und Maureen MaKay (Gretel) sind ein agiles und spielfreudiges Geschwisterpaar, Tom Erik Lie ihr skurril-spilleriger Vater, Christiane Oertel die strenge, rothaarige Mutter, und Ursula Hesse von den Steinen brilliert nicht nur stimmlich sondern auch darstellerisch als echt sexy ‚Knusper-Hexy‘ (Premieren-Besetzung!).
Humperdincks Dauerbrenner in der Komischen Oper: hört sich gefällig an, ist auch hübsch anzusehen in seinem modisch gestylten Look – doch herzlich oder anrührend wirkt das Opern-Märchen nie: alles Plastik!

Foto: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

nächste Vorstellungen:27./31.März/04./06./10./11./14./19.April 2013