Happy End in der Lausitz: ‚Götterdämmerung‘ im Staatstheater Cottbus****

Vor 10 Jahren begann, jetzt gelangte er zum glücklichen Ende: der „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner. Am Ostersonnabend ging nicht nur Siegfrieds Scheiterhaufen in kräftig qualmendem Rauch und flackernd-roten (Beleuchtungs-)Flammen auf, sondern es nahm bei der finalen Götterdämmerung auch ein stummer Wotan in einer hinzuerfundenen Pantomime ergreifenden Abschied von seiner Lieblings-Walküre Brünnhilde und seinem ermordeten Wunsch-Helden Siegfried.
So deutlich und realistisch erzählt der Cottbusser Intendant und Regisseur Martin Schüler das Ende der gewaltigen Ring-Tetralogie – auch wenn das Programmheft von einer ‚halbszenischen‘ Aufführung spricht. Halbszenisch heisst im schönen Jugendstil-Theater, dass der Orchestergraben zu schmal für das gross-gefächerte Musiker-Ensemble ist und deshalb das gesamte Orchester – sichtbar fürs Publikum – auf der Bühne untergebracht ist. Davor agieren in Kostüm und Maske und mit wenigen Requisiten die Sänger. Doch dieser Stil, der zu Beginn der Tetralogie im Jahr 2003 noch in knapper Andeutung bestand, hat sich im Laufe der Jahre und der nachfolgenden Werke vervollkommnet, so dass jetzt in der abschliessenden „Götterdämmerung“ von einer Voll-Inszenierung gesprochen werden muss. Zwar residiert das Orchester immer noch in der Bühnenmitte, davor und dahinter – und verbunden durch einen hellen Steg mitten durchs Orchester – kann sich die tragische Geschichte von der betrogenen Braut Brünnhild, ihrem unwissend untreuen Siegfried, dem geraubten und schliesslich den Rheintöchtern wieder zurückgegebenem Nibelungen-Gold voll entfalten.
Dabei wird der Nachtalb-Nachkomme Hagen in Cottbus zum eigentlichen Drahtzieher des verhängnissvollen Geschehens: er zerschneidet schon zu Beginn den Faden der Nornen, öffnet den Tresor, reiht die Stühle; er führt Gunther und dessen Schwester Gutrune wie Marionetten am Faden, putscht die Mannen zum Aufruhr, bis er am Schluss sichtbar an seiner eigenen Intrigue scheitert und von den inzwischen gealterten Rheintöchtern unter wasser-blauen Seidentüchern verschwindet.
Mitunter ist das von Martin Schüler ein wenig grob gestrickt und allzu brav nach realistischen Regie-Mustern arrangiert, insgesamt aber besitzt der Abend trotz seiner Länge von 5 Stunden durchgängig Spannung und dramatische Attraktivität.
Letzteres verdankt er natürlich vor allem dem ausgezeichneten Sänger- und Darstellerensemble, allen voran der Brünnhilde von Sabine Paßow. Sie verkörpert die zur Menschen-Frau gewordene Walküre darstellerisch ungewöhnlich temperamentvoll und ausdruckstark in ihren jeweiligen Gefühlen,  musikalisch mit einem warmen, sehr flexiblem Sopran, der nicht bloss durch Spitzentöne verblüfft, sondern die vielschichtige Partie in schönem Fluss differenziert gestaltet. Ebenfalls überzeugend in der Gesamt-Gestaltung seiner Figur: Gary Jankowski als kluger, strippenziehnder, aber finsterer Hagen. In ihrer kurzen Szene mit Brünnhilde beeindruckt Marlene Lichtenberg als Walküren-Schwester Waltraude mit dunkel-dramatischem Mezzo. Andreas Jäpel verfügt über einen klangvollen Bariton, muss darstellerisch als schwacher König Gunther jedoch fast bis zur Karikatur übertreiben. Den Siegfried spielt der hochgewachsene, strohblonde Amerikaner Craig Birmingham in schwarzer Lederhose rollendeckend, gesanglich bleiben einige Wünsche offen (Legato!). Als Nornen und Rheintöchter ergänzen Cornelia Zink, Debra Stanley und (zusätzlich) Marlene Lichtenberg das insgesamt hochkarätige Ensemble. Dazu der durch Sänger aus Bratislava verstärkte, ausgezeichnete Chor.
Even Christ sorgte als Dirigent für zügigen Ablauf und klangschöne Details, gelegentliche Intonationstrübungen mögen der ungewöhnlichen Position mitten auf der oft nur schwach erleuchteten Bühne geschuldet sein.
Das Publikum war begeistert, wie auch schon 2003 beim „Rheingold“, dessen grosser Erfolg erst bewirkt hat, dass 2008 „Die Walküre“, 2010 „Siegfried“ und jetzt „Götterdämmerung“ szenisch aufgeführt wurden. Ein Wermutstropfen bleibt nur, dass eine Gesamt-Aufführung aller vier Teile die Möglichkeiten eines mittleren Theater wie Cottbus übersteigt.

Foto(Schluss-Szene): Marlies Kross/Staatstheater Cottbus

nächste Vorstellungen: 06./28.April 2013